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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0418
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-der Geist, der Genrestücke ist häufig bedingt von -der Stärke und
Virtuosität des Makers im Abbilden eines Kleider,zengs oder Haus-
geräths.; aber dieses Kleinliche hat auch sein Vortheilhaftes für ein-
zelne Talente, und 1hnt der ganzen Gattung keinen Schaden.

Die Genremalerei ist die wichtigste, fast einzige Unterrichts-
art der Kunst sür's Volk geworden, seitdem die Stubenaltäre und
Wandtafeln, die alten Madonnen-- und Heiligenbilder den neuen
Zimmerverzierungen, dem gemalten Marmor, den sammetsarbigen
Papiertapeten, und wie die schönen Sachen alle heißen, weichen muß-
ten. Das Akademienwesen bot nur Wenigen einen Ersatz. Früh
dem Verderben des gelehrten- Schüldünkels hingegeben, wurde eigent-
lich nie mehr als ein Coteriewesen daraus, das ohne Rücksicht auf
-das Volk bloß dem Hose und der vornehmen Welt zu geasllen suchte,
und nur gewisse Gegenstände, und auch diese nur. auf eine ge-
wisse Weise für die Darstellung zuließ. Die klaffen-und kategorien-
weise abgetheilten Akademiker hatten, wie alle geschlossenen Zünfte,
Schulen und Secten, ihre eigene Kunstsprache, die sich als eine todte
zur Sprache des Umgangs verhielt, und sorgten nicht für freie Gei-
stesentwicktung, sondern-.für sklavisches Festhalten an bestehenden For-
men und Ansichten. Als die Revolution, wie über so viele andere
Dinge, so auch über das Kunstwesen, ganz neue Meinungen in
Schwung brachte, und die Worte Freiheit und Gleichheit auch die
Herzen der Künstler in Wallung setzten,, hatte die Innung der pri-
vilegirten Maler diesem Gefühl nichts entgegenzustellen, was im
Stande gewesen wäre, dem gewaltigen Andrange des freien Natur-
strebens gegen die Bande der Convenienz auch nur im Geringsten
die Stange zu halten. Ich glaube, man gewinnt eine klarere Ein-
sicht in den gesammten Betrieb und Zustand der modernen Malerei,
wenn man annimmt, daß der Streit des sogenannten Romantis-
mus und Klassizismus im Grunde nichts anderes, als ein Kamps
des Genre's gegen die Historie, d...h, des beliebigen Malens gegen
das schulmäßig hergebrachte und vorgeschriebene Malen gewesen ist.
Welch' ein Tummelplatz rüstiger Thätigkeit war hier mit einemmale
Mfgethan, und welchen Vortheil hatten dabei die nach Gefallen her-
umplänkelnden Freischaaren der Genremaler über das in einem festen
Lager stehende akademische Corps der Historienmaler, die wenigstens
nicht so frisch aus im Chaos losarbeiten konnten, ans welchem eine
neue Kunstwelt entstehen sollte! Sie wollten die alten Formen
schützen, mußten also auch zu ihrem Schaden darin einhergehen, und
unterliegen. Denn ich meine, der Kampf ist ausgekämpft, und der
Sieg zu Gunsten der Ersteren entschieden, wenigstens in Frankreich.
Hier ist das Genre ein Embryo von historischer Kunst, nach dem
lebenden Ebenmaß der menschlichen Natur, und ohne Aehnlichkeit
mit dem Roland ihrer einäugigen Schwester, deren langer Tubus
durch Mißbrauch, den Sprachmeistcr ihres Zeitalters, gereinigte, ge- :
läuterte, idealisirte, verklärte Schönheit genannt wird, aber gar kein
-natürliches Auge, sondern eine Röhre mit Brillengläsern ist, die
man nach Umständen stellen und umkehren kann. Die Augen der
verjüngten historischen Kunst heißen: Charakter und Laune. Alle
ästhetischen Vorurtheile bei Seite gesetzt, frag ich den Leser auf sein
Gewissen als Liebhaber: ob ein Mädchen mit zwei gesunden Augen
nicht in der ganzen Welt gangbarer ist, -als eine verjährte einäugige
Fee, sie mag übrigens Angelika oder Raphaele oder, wie die
Sevigne, Mama Schönheit (Mere Beaute) heißen? Wie soll die
an-Krücken gehende Historie dem Genre Nachkommen, das, wenn
auch nicht fliegt,- doch mit flinken Beinen gewaltig ausschreitet? Und
was vermögen die Historienmaler mit dem hochadeligen und hoch-
gelahrten Styl der alten Hof- und Schnlsprache ansznrichten gegen
die Popularität der Genremaler, die wechselweise den feinen, mun-
tern Conversationsten der Gesellschaftsgänger oder den scharfen,
schneidigen Marktwitz der Fußgänger gebraucht? Für neue Varian-
ten zu Raphael finden sich in Frankreich eben so wenige Liebhaber

als für neue Scholien zum Sophokles, wogegen die ganze Masse
der Ungebildeten wie die Majorität der Gebildeten, die von klassi-
schen Alterthum, folglich, von Werken nach antiken Mustern nichts
verstehen und auch keine Collegia über moderne Kunst gehört haben,
gleich-lebhaften Antheil--nehmen an den neuen Genrestücken mit Sit-
tenzuständen und . Ausdrucksweisen, wie sie Jedermann geläufig und
verständlich sind- Wenn auch diese Stücke manchmal rechte ächte
Fnßgängerstücke (ckMüae peäestres). sind, die weiter nichts Anziehen-
des haben als die allgemeine Verständlichkeit ihres Inhalts, so be-
sitzen sie doch noch am meisten die Eigenschaft, bei aller Meinungs-
verschiedenheit unserer Zeit eine gewisse Uebereinstimmigkeit des gei-
stigen Genusses hervorzubringen und in Putzstuben und- Dachkam-
mern, in Visitenzimmern und Arbeitsstätten gleichartige Gefühle.an-
zuregen. Sie sind den Romanen zu vergleichen, die ebenfalls die
bedeutendsten, beinahe alleinigen Erziehungsbücher des Volks, gewor-
den, seitdem die Bibel und Hauspostille, die Legenden und die alten
Sagen ihren Platz den kürzesten Methoden des Kopfrechnens und
Schönschreibens, den Encyklopädien der gesunden Vernunft und Er-
fahrung eingeräumt haben. Gleich mannigfaltig, gleich lüstern, das
Leben nach allen, Seiten umzukehren und aufzuwühlen, und dabei
bloß auf Geschmack und Phantasie, d. h. auf Autoritätsloses und
Beliebiges hingewiesen, entwickeln sie sich in der reichsten Fülle und
flnthen wie ein Strom, der in dem Treiben seiner Wellen durch
keine Wehr gehindert wird.

Die Genremalerei ist der in das Kunstwesen übertragene revo-
lutionäre Geist neuerer Zeit, und Ludwig XIV. wurde in seinem
Widerwillen gegen die Teniers'schen Bauernstücke von einem richti-
gen Instinkt geleitet. Diese Art Malerei ist wesentlich revolutionär-,
und konnte nur mit der immer mehr steigenden Macht der bürger-
lichen Klassen aufkommen. Die Zeiten der reinen Adels- und Volks-
herrschaft sind die Zeiten der Epen und Dramen. Im patrizischen
Italien des 15. und 16. Jahrhunderts ist die Genremalerei unbe-
kannt. Sie entsteht in Holland und Flandern, in der Wiege und
Heimath des bürgerlichen*) Gemeinwesens. In Frankreich macht sie
gleichzeitig mit dem Tiers-Etat ihre Rechte geltend, unter den beiden
letzten Ludwigen vor der großen Revolution, und regelt ihre Schritte
nach dem Gange der bürgerlichen Mittelklasse, bis sie mit dieser
vorherrschend wird und im Leben eine Breite gewinnt, die Alles in
sich ansnimmt. Vor dem Klagen über den Mangel an großen Kir-
chen- und Geschichtsbildern sollte man sich daher fragen, ob solche
Heldenstücke des Pinsels unter den jetzigen Umständen sich aussühren
lassen. Wo allenthalben das Materielle und Gewerbbürgerliche verwaltet,
wo aller Glaube und Enthusiasmus entweder ganz ausgestorben oder
tödtlich geschwächt sind, wo die nie rastende Industrie, das Nimmersatte
Scharren nach irdischem Nutzen und Gewinn alle Produktivkräfte
und Capitalien der Bürger in ausschließlichen Anspruch nimmt und
zu einer Galeerenarbeit verdammt, da sollte die höhere und höchste
Art der Kunst, die allein durch den Drang nach dem Himmlischen
und Idealen, durch den freien Schwung der Begeisterung für das
Edlere und Göttlichere bestehen kann, da sollte die Kirchen- und
Hiporientnalerei in dem Sinne der früheren Zeit möglich sein? Es
breche Keiner den Stab über mich, wenn ich sage: ich zweifle. Ge-
wiß ist es wenigstens, daß nur Aristokratien vorzugsweise das epische,
und Demokratien hauptsächlich das dramatische Element in der Kunst
erzeugen. Keine dieser beiden Staatsformen spricht sich aber heut-
zutage scharf und bestimmt aus, woher das Charakterlose und Schwan-
kende in den Hervorbringungen der Kunst des Jahrhunderts sich zum
Theil mit erklärt. Das Einzige, was in unfern modernen Mo-
narchien einigermaßen entschieden hervortritt, -ist der überwiegende

'■■■) Dies Wort ist und bleibt unbequem und zweideutig; aber ich kann kein
anderes finden. .
 
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