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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0481
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sammelt: sie führen uns von den Ufern der Seine an die Gestade
der Loire, aus den Felsschluchten des Fontainebleauer Waldes in
die Gebirgsthäler der Auvergne, von den kahlen Steppenslächen der
Gascogne ins Buschland der Vendee,>und noch an viele andere Stellen:
Morgen, Mittag, Abend, Frühling, Sommer, Herbst, jede Gegend, jede
Tagesstunde, jede Jahreszeit taugen in seinen Kram, wenn sie nur
malerisch sind. Rousseau ist ein poetischer, ja romantischer Land-
schaftsmaler, wenn man das letzte Adjektiv, dem die Schulstreitig-
keiten eine beinahe lächerliche Bedeutung gegeben haben, noch an-
wenden kann: er faßt die Natur breit, massenhaft und entschieden
wirkungsvoll auf, ein wenig in der Art wie die Landschaftsmaler
der englischen Schule, Gainsborough, Constable, Turner; er läßt
Licht und Lust freier spielen, als man es jetzt gewöhnlich thnt, und
vernachlässigt manche Einzelheiten und stückweise Wahrheiten über
den Ausdruck der Landschaft im Ganzen und Großen. Die Künst-
ler bekümmern sich gegenwärtig mehr um die Runzeligkeit eines
Felsens, um das Jmpasto eines Baumstammes oder Laubbüschels,
als um die Physiognomie der Natur. Die Gegenden haben ihre
Schwermuth und leichte Laune, ihr verstimmtes und aufgeräumtes
Wesen, ihre Stunden närrischer Ausgelassenheit und düsterer Nieder-
geschlagenheit, die man ihrem allgemeinen Sinn und Geist nach
übersetzen muß, bei Strafe, weiter nichts zu Stande zu bringen, als
eine ungenaue und unlebendige Wortwörtlichkeit. Rnysvael ver-
säumte es nie, einer landschaftlichen Physiognomie gleichsam ihr In-
nerstes und ihre Seele abzulauschen, und diese für das Gemüth des
Beschauers verständlich zu machen; auch Rousseau ist stets bemüht,
einer unter gewissen Umständen 'der Witterung und Beleuchtung sich
darstellenden Gegend ihre eigenthümliche Stimmung und Afsizirtheit
abzugewinnen, und trifft sie oft, vergreift sich aber auch oft im
Haschen nach unwahrscheinlichem, übertriebenem Effekt. Man unter-
scheidet in seinen Werken zwei Manieren. Ein breiter, pastoser Vor-
trag ist beiden gemein; aber die erste trägt noch die Spuren von
jugendlichem Uebermaß an sich und ist nicht frei von Oberflächlich-
keit und Formlosigkeit. Die Stücke dieser Manier zeugen durchweg
von kräftigem Farbensinn und energischem Gefühl des Ensembles;
sie sind mit skizzenhafter, aber charaktervoller Leichtigkeit behandelt
und mehr auf die Entfernung gemalt. In der Nähe ist manches
Bild gar nicht zu sehen, und gleicht einem chaotischen Farbeuge-
kleckse; aber nur ein Paar Schritte rückwärts, und Alles löst und
rundet sich, weicht zurück und tritt vor, wie es Nähe und Entfer-
nung verlangt; überall Zusammenhang und Ordnung, Einklang und
Auseinandersetzung. Freilich kommt hier das Einzelne wenig in Be-
tracht: der breite, dreiste Pinsel, nach der Masse und Gesammthal-
tung strebend, geht rücksichtslos über das Detail hin. Man fühlt
sich bloß durch die ächt künstlerische Empfindung, die aus dem Gan-
zen spricht, angezogen, und kann sich nicht verhehlen, daß hierbei der
Unterschied zwischen Naturstndien und Bildern geringer ist, als er
sein soll. Diese keck skizzirende Manier war für unfern Künstler,
was das erste Elixir für ein neues Gesäß ist, welches von diesem
Einguß seinen Geruch und Geschmack erhält, die später nur sehr
schwer und beinahe nie ganz wieder wegzubringen sind. Rousseau
blieb immer zu flüchtigem Machwerk geneigt; doch sah er wohl ein,
daß, wenn man sich im feurigen Ungestüm der Skizze Aphoristisches,
Fragmentarisches, Halbangedeutetes, kurz Alles erlauben darf, um
seinen Gedanken zu stenographiren, derselbe in ruhiger und gleich-
müthiger ausgesührten Bildern ganz und leserlich hingeschrieben wer-
muß. Er ging daher an ein gründlicheres Studium des Details,
legte sich auf genauere Zeichnung und befliß sich einer gleich ver-
theilten Sorgfalt, ohne darüber die Lichteffekte fallen zu lassen und
die Gesammtwirkung zu verlieren. So entstand seine zweite Ma-
nier, die, mit Beibehaltung des Totaleffekts, ausführlicher in das
Einzelleben, namentlich in die gestaltreichsten Individuen der Pflan-

zenwelt eingeht. Freilich an jene ausführlichste Weise, die beim
Malen eines Baumes die einzelnen Blätter berücksichtigt, darf mau
auch hier nicht denken; doch ist Alles für die Distanz vollendet, und
es haben die Stücke dieser Art vor den meisten andern Werken des
Künstlers den Vorzug, daß sie sich mehr wie Bilder anlassen und
weniger als Studien erscheinen, auch mehr in der Nähe zu
sehen sind.

Von den sechs Landschaften, womit Rousseau zu gegenwärtiger
Ausstellung beigesteuert hat, schließt sich der „Weiler im Cantal"
noch an seine erste Manier an. Es ist Abenddämmerung, und vor
uns liegt eine Gebirgsgegend; ein Bergrücken zieht sich bis zu drei
Viertel einer schmalen Leinwand hinauf, die oben mit einem wunder-
lich gelb und roth gestreiften Himmel abschließt: alles Uebrige iffc
in schwarzen, finstern Schatten gehüllt, wo man anfangs gar nichts
unterscheidet, aber nach und nach, zwischen den Bäumen, die absatz-
weise am Berghange hingebauteu Dorfhäuser mit schon angezündeten
Lichtern herauskommen sieht. So selten sich auch die Farbener-
scheinung unter nordischem Himmel in solcher Stärke und Absonder-
lichkeit zeigen mag, so scheint sie hier doch mit großer Ueberzeugungs-
kraft hingestellt. Die andern Stücke sind mehr oder weniger von
Rouffeau's zweiter Manier. Der „stürmische Morgen im Spät-
sommer" ist ein mit seinem Gefühl und Verständniß gemaltes Bild,
woraus uns eine schwüle, feuchte Luft entgegenweht. Das blaue
Gewölk scheint mit Elektrizität geladen, und drauf und dran, beim
geringsten Zusammenstoß wetterleuchtend und donnernd loszuplatzeN'-
Der Himmel bereitet der Erde ein Sturzbad, und der Regen wilt
herabgießen. Die Art von fieberhafter Spannung der Natur vor
dem bevorstehenden Ausbruche des wilden Streites der Elemente ist
vortrefflich gegeben. Die „Ufer der Loire im Frühling" haben viel
Reiz und Wahrheit: man sieht selten etwas so Frisches, so Frühlings-
grünes, so von dem gewürzigen Duft des Grases und dem vollen
Saft der Bäume Durchdrungenes, als dieses fein und delikat aus-
gesührte Bild. Der „Sonnenuntergang auf einer waldigen Wiese"
ist nicht, wie gewöhnlich, ein wüstes Dnrcheinandergeschauer von
chinesischem Zinober, venetianischem Bleiweiß, Neapelgelb, Perfisch-
roth und dergleichen Knallfarben. Rouffeau's Sonne geht unter in
hellgrauem Gewölk hinter einem großen Baum, der kleines Nieder-
holz und Buschwerk überragt. Die Lichtstrahlen sickern streifenweise
durch die Wolkenlücken auf einen weißen Himmel voll wasserhaltiger-
Dünste, der eben so wahr verstanden als wiedergegeben ist. Gras-
plätze und Buschklumpen ziehen sich in hübscher Abwechslung und-
Aufeinanderfolge vom Vorgrunde nach dem Hintergründe, wo rau--
chende Schornsteine die Anwesenheit der Menschen hinter den Bü-
schen verrathen. Der große Baum ist gut in den Boden eingeha-
kelt und tritt kräftig aus der Hellen Luft heraus, mit sehr sorgsa-
mem Detail von Zweig- und- Blätterwerk. Man spürt überall das
Studium und Gefühl der Natur. Die Farben sind tief und klar>
und das angenehm gestimmte Ganze von einer wohlthätigen Haltung.
Die beiden andern Landschaften, Ansichten aus dem Walde von
Fontainebleau, haben auch viel Schönes, und gehören mit den obi-
gen zu den gelungenen Werken des Meisters; alle zusammen dürf-
ten jedoch seinen Ruhm nicht gerade erhöhen, weil darin kein neuew
Ton angeschlagen ist: sie gleichen dem Spiel eines Schauspielers,
der eine Rolle zum hundertsten Male hersagt, und zwar dieselbe
Virtuosität entwickelt, aber nichtLmehr dieselbe Wirkung wie anfangs
hervorbringt. Hier wird dem besten Künstler zugemuthet, daß er
sein Repertoir auffrische, und ist daher nicht zu verwundern, wenn
die Aufmerksamkeit sich vorzugsweise einem jüngeren Maler zuwen-
det, dessen Werke diesmal die Haupttreffer im Landschaftsfache sind
und das stärkste Aussehen erregen: ich meine Eh. Fr. Dau-
bigny.

Von diesem Künstlern sah man schon auf früheren Ausstellun-
 
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