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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0117
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96

im tiefen Thal wie hoch oben an Bergesabhängen, ausge-
streut sind, daß man trotz der Beengung des Gesichtskreises
durch die Berge, nie einen Kirchthurm in der Landschaft
vermißt, nicht ungewöhnlich aber deren bis zu fünf und noch
mehr von einem Standpunkte aus wahrnehmen kann. —
Die auffällige Eigenthümlichkeit und durchgängige Ueberein-
stimmung dieser Thürme beruht in der ungemein schlanken
Bildung des sogenannten Zeltdachs, wodurch nicht bloß für
sich betrachtet eine reizvolle Zierlichkeit zur Schau gestellt,
sondern besonders auch zu der landschaftlichen Umgebung ein
ansprechend harmonisches Verhältniß herbeigeführt wird, in-
dem sich hierin aussprach, daß die Kunst in ihrem Streben
himmelan nicht Zurückbleiben will gegen die Natur, die hier
zackige Schneefirnen über die Wolken hinaus streckt. Diese
Thürme haben fast durchweg dieselbe Bauconstruktion. Auf
den 4 Seiten des quadratischen Unterbaues erheben sich drei-
seitige Giebel, deren Gipfelwinkel spitzer sind, als die Win-
kel an der Basis; von diesen Giebeln eingeschlossen steigt
der schlanke Helm in der Weise achtseitig empor, daß die 4
Fig. i.


Ecken des Unterbaues und die 4 Gipfelpunkte der Giebel
die Endpunkte seiner 8 Kanten bilden.
Diese Übereinstimmung der Construktion schließt je-
doch eine Mannigfaltigkeit namentlich des Verhältnisses des
Thurms zum Kirchengebäude nicht aus. Die organische Ver-
bindung des Thurmbaues mit der Kirche scheint gar nicht
vorzukommen, wenigstens habe ich sie nicht ein einziges Mal
bemerkt: ebensowenig pflegt er übrigens ganz freizustehen,
vielmehr lehnt er sich regelmäßig der Kirche in einer will-
kürlichen Verbindung an und zwar an verschiedenen Punk-
ten der Langseite, die zwischen der Fa^ade und dem Chor-
schluß nach Ortsgelegenheit passend erscheinen, freilich mei-
stens an der Grenze von Chor und Langhaus. Wenn öfter
der Unterbau halb oder selbst noch weiter ins Kirchenge-
bäude hineinrückt, so tritt dadurch eben die unorganische
Verbindung des Thurms mit der Kirche noch greller her- ,
vor. — Die Kirchen haben regelmäßig Polygonen Chor- !
schluß und ist der gothische Stil, namentlich in allem De-
tail, vorwaltend. Denn wenngleich die Umfassungsmauern
des Gebäudes nirgend auf das ausschließliche Strebepfeiler-
und Strebebogensystem zurückgeführt sind, vielmehr stets ^
reichliche Mauerflächen darbieten, an welche sich schmächtige !
Strebepfeiler mehr lisenenartig anlehnen, so ist die Gestalt j

der im Langhause und in der Absis vorkommenden Fenster
doch meistens die langgestreckte mit spitzbogigem Abschluß;
ebenso sind Portale und Gewölbe vorwiegend spitzbogig und
der nicht seltene dekorative Schmuck ist gewöhnlich spät-
gothisch. Er findet sich hauptsächlich im Maßwerk der Fen-
ster und an den Portalen, wogegen die geringe dekorative
Gliederung des Baukörpers durch gegliederte Strebepfeiler
und Friese, die meistens ganz fehlen, unerfreulich absticht
und das Gepräge der Spätgothik noch mehr ins Auge
stellt. Eine zierliche Ausnahme bildet die Kirche in Gries-
einem Dorfe an der Botzener Straße ins Etschthal hinauf,
die wir freilich nur im Vorbeifahren bemerkten. Das Maß-
werk der Fenster ist einfacher, edler und hat von der sonst
üblichen Ueberladung den Strebepfeilern und Friesen so
viel abgegeben, daß auch diese ein edles gothisches Gewand
angelegt haben. Der ganze Bau ist in Hellem Backstein-
rohbau aufgeführt, das Dach bildet durch quadratische Ab-
wechselungen Heller und rother Ziegeln ein musivisches Mu-
ster, der schlanke achtseitige Helm des Thurmes zeigt einfaches
gothisches Maßwerk blind auf die Bedachung gelegt, aus
den Kanten Krabben und die zierliche Kreuzblume noch von
einem vergoldeten Kreuze überragt. —
! ' Die Straße von Salzburg nach Innsbruck führt, be-
! vor sie das Innthal erreicht, durch sehr verschiedene Hoch-
^ thäler des Salzkammerguts, des bayerischen und tiroler
Hochgebirges. Sobald man das letztere betritt, verschwin-
den die Kirchthürme mit den mehr oder weniger zwiebel-
i förmig gebildeten Thurmhelmen und die geschilderte archi-
, tektonische Staffage der Landschaften macht sich immer mehr
geltend, bis sie im Jnnthale und dessen Seitenthälern ihren
Höhepunkt erreicht und erst mit der Grenze des deutschen
Tirols dem lombardischen Kirchenbaustil, oder wenigstens
einem Uebergange zu demselben, das Feld räumt. Die
! größeren Städte jedoch bilden eine durchgreifende Ausnahme,
indem sie regelmäßig mindestens bei einem Gotteshause
mehr dekorative Pracht auch im Thurmbau zur Schau stellen.
Der reicheren und bekannteren Kirchen Innsbrucks nicht
zu gedenken, zeichnet sich namentlich die Pfarrkirche des
Städtchens Schwaz durch solide gothische Formen aus;
der Thurmbau, auch im Mauerwerk durch blindes Maßwerk
gothisch gegliedert, setzt mit einer zierlichen fialengeschmück-
ten Gallerie ab; über einer glockenförmigen Erhebung steigt
sodann der achteckige Helm schlank empor, an seinem Fuße
mit Giebeln geschmückt. Diese Kirche betrachten wir übri-
gens ihrer eigenthümlichen Anlage wegen etwas näher. Sie
ist eine vierschiffige Hallenkirche, deren beide breiteren Mittel-
schiffe zwei besondere Abstden haben, jede mit besonderem
Hauptaltar. Die Anlage soll dadurch bedingt worden sein,
daß die Knappschaft der zur Zeit des Baues bei Schwaz
bestehenden Bergwerksgesellschaft ihren besonder:: Raum zum
Gottesdienste erhalten sollte, wozu die beiden südlichen Schiffe
bestimmt wurden. Die beiden Seitenschiffe schließen recht-
winklig in gerader Linie ab, während die Mittelschiffe sich
noch in der Breite der Seitenschiffe über diese hinaus fort-
setzen und sich dann in zwei je dreiseitigen Abstden zusammen-
schließen; hinter dem nördlichen Seitenschiffe in der mit der
Fortsetzung des Mittelschiffes gebildeten Ecke erhebt sich der
Thurm. Die Gewölbe ruhen auf runden Pfeilern mit
 
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