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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 3.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1205#0038
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Ausstande beit gefangenen Ludwig durch Verwendung einer hoch- Historischer Roman ans der letzten Hälfte des 18. Jahrhdvvn W. Bachmann.
stehenden Dame. Ludwig, der ruhige und besonnene Mann, dem Berlin 1856. Decker's Geh. Ober-Hofbuchdruckerei.

der Anschluß an den Ausstand Sache heiliger Ueberzeugung, Pflicht Ein bedeutendes Werk slavischer Literatur tritt hier zum ersten
für Vaterland und Fürst ist, findet den Letzteren in Prag und er- Mal in deutscher Bearbeitung vor uns hin. Schon vor 10 Jah-
fährt aus seinem Munde, daß er jeden Schein der Theiluahme an reu, wie uns die Vorrede belehrt, ohne Namen des Verfassers er-
der Erhebung seines Volkes für ihn meiden wolle. Das bricht dem schienen *), hat es sich einen seltenen Nus in dem ganzen gebildeten

treuen Unterthaneu das Herz; er verfällt in ein Nervenfieber und Osten-geschaffen. Man glaubt es leicht, denn selten hat wohl pol-

stirbt. lieber diesen bedeutenderen Zug aus dem Gebiet wahrhaft nische Art, hat besonders der eigenthümliche Li'lstre polnischer Aristo-
künstlerischer Behandlung wird aber rasch hinweggegangen. Hermann kratie eine so treue und geistreiche Darstellung gefunden. Der greise
verbindet sich mit Lina. Magnat zwar, der uns so wohlwollend mit seinem geschorenen Haupt

Wir haben damit den einfachen Roman gegeben. Man sieht, und gekräuselten Schnurrbart vom Titelbilde anschaut, Carl Fürst
um Hermann's willen ist das Buch kein historischer Roman; aber Radziwill, der Jedermann „Mein Liebchen" anzureden pflegte und
auch nicht um Jerome's willen, um dessen kleine Privatbeziehungen, dafür unter diesem Beinamen historisch geworden ist, — dieser
Liebschaften rc. es sich lediglich handelt. Der damalige luftige Casseler selbst ist gleichsam nur der edle und gastfreie Wirth, bei dem wir
Hof mit all' seinem Skandal wird lebendig genug geschildert, fast die interessante Gesellschaft dieses Buches kennen lernen, aber das

zu lebendig und so sehr mit dem Air und dem Bewußtsein einer ist ja Pflicht und Ruhm eines Gastgebers, jedem seiner Gäste die

chronique scandaleuse, und mit ihrer Unermüdlichkeit, eine galante volle Geltung zu lassen, sogar auf eigene Kosten,
oder pikante Affaire an die andere, zu hängen, daß die darüber ver- Es ist im Grunde eine sehr einfache Geschichte. Es sind drei
gessene Herzensgeschichte des Helden förmlich stören kann. So sehr oder vier charakteristische Figuren aus dem Hintergründe einer düstern
ist diese mit ihrer Romannatur und das Uebrige mit seiner Me- verworrenen Zeit. Aber diese Zeit ist die Sterbestunde des polni-
moirennatur zweierlei. Deshalb kann man auch wohl einmal das scheu Reichs. Aber diese Figuren sind die Verkörperungen der feind-
eine oder das andere Kapitel überschlagen. Kurz wir haben . von licheu Prinzipe, an deren Reibung es untergeht. In diesen Strawinski
den Forderungen eines historischen Romans, eines rund abgeschlosse- kämpft das alte, heitre, gläubige, aber überlebte Sarmatenthum ge-
lten künstlerischen Werkes abzusehn und uns mit Memoireulektüre gen eine verfrühte trügerische Civilisation, funkelnd von Esprit und
zu befassen. Als solche haben wir des Unterhaltenden genug in schillernd in allen Farben — der Verwesung,
dem Buche. Höchst vortrefflich ist die Schilderung der einzelnen Zwei Brüder werden bedeutsam schon als Knaben durch der
Persönlichkeiten und ihrer Bethätigung, wie die Reichardts und sei- Mutter Untreue und Scheidung auseinander gerissen, der Eine von
ner Tochter Luise — ja man kann sagen, die ganze Casseler Ge- der Mutter französisch, der Andre vom Vater sarmatisch erzogen,
sellschast. Das Ausmalen der lokalen Verhältnisse im gegebenen und so steht dann im Leben der Eine zu dem macht- und neuerungs-
engen Rahmen, das Leben in der Residenz Cassel, auf der Wilhelms- süchtigen König Stanislaus August (aus dem Hause Pouiatowski),
höhe und in der nächsten Umgebung findet man meisterlich durch- der andere zu den Patrioten und Wahrern des alten Reichs und
geführt, die Familienzirkel und Festlichkeiten sind mit gemüthlicher Rechts. Meisterhaft sind diese Beiden im Contrast gegen einander
Genauigkeit und Behaglichkeit beschrieben und die Personen fesseln durchgeführt; jeder auf seine Weise im Recht und Unrecht, jeder
durch die Bestimmtheit ihrer Zeichnung. Letzteres ist eine der größ- auf seine Weise edel und interessant, beide aber gleich liebenswertst
ten Vorzüge der Darstellung. Die sicher und in ganzer Vollstän- in der brüderlichen Zärtlichkeit, die nicht nur den Gegensatz der Er-
digkeit hingestellten Charaktere bleiben stets dieselben, wo sie aus- Ziehung und Politik, sondern auch den schneidendsten Conflict einer
treten und handeln und reden durchaus sich selber gemäß; da bleibt 'Nebenbuhlerschaft des Herzens überwindet. Hat der Verfasser sei-
Nichts Schablone in ihnen, Alles ist individuell und bestimmt. Das neu Landsleuten damit eine Lehre geben wollen? Sie wäre eben
macht die Sache bei der Unzahl von Personen, welche auftreten, so politisch wahr als menschlich schön! — Aber das Schicksal,
welche kommen und verschwinden, natürlich sehr lebendig. Nament- durch beiderseitige Schuld aufgerufen, wird nicht durch die brüder-
lich gelungen sind die Frauengestalten. Lina, Luise Reichardt, die liehe Liebe versöhnt. Wir finden zuletzt den Einen Bruder als
Großhofmeisterin Gräfin Antonie, welche nur leider bisweilen ge-> Entführer des Königs Stanislaus, den andern als dessen Retter,
zwungen oder zur Unzeit, dann aber stets mangelhaft in den schwä-
bischen Dialekt verfällt, die Ministerin von Bülow, Adele le Camus, —
kurz alle von der genußsüchtigen, mehr als indeeeuten Geueralin du
Cudras an bis zur Cordula Stölting, die einer schon vor ihrer
Blüthe dahinwelkeuden Lilie gleicht und in deren Mund jedes Wort
zum poetischen Bilde wird, eine Jede ist ein gelungenes Portrait. —

Auffallend war uns eine mitunter sehr nachlässige Form der Diction,
die unzulässige Constructionen durchschlüpfen und auch bisweilen einen
allzu burschikosen, völlig unpassenden Ausdruck mit unterlaufen läßt; die
vielen Wortwitze im Munde der auftretenden Personen sind vielleicht
zeitgemäß, aber desto weniger hätte sie der Erzähler durch solche,
die er auf eigne Rechnung macht, vermehren sollen. Solche Frei-
heiten stören um so mehr, je mehr andere Parüeen zeigen, wie ge-
wandt, ja brillant der Dichter mit der Sprache umzugehn weiß.

zu gemeinsamem Verderben. Der den König aus der Hand seiner
treuen aber verblendeten Unterthaneu befreit, findet seinen Einfluß
zu schwach, den gefangenen Bruder vom Schaffet zu retten; er glaubt
sich mit Kains Brandmal gezeichnet und endet durch Selbstmord.
Es ist wahr, die Motivirung dieses Schlusses erscheint nicht frei
von einer gewissen Willkühr, aber trotz dieser hat er selbst seine
volle poetische, man möchte sagen, symbolische Berechtigung.
Kleinliche Dinge, kleinliche Menschen verderben das Große und Edle;
das ist polnisches Schicksal — wenn nicht menschliches!

Nicht minder treffend als die Hauptfiguren sind auch die übri-
gen gezeichnet, mit einander in Reflex und Gegenreflex gestellt; —
die edle aber charakterschwache Sophie, zuerst Braut des einen, dann
Gattin des andern Strawinski, gegenüber die schöne leichtsinnige
Castellanin v. Liefland; der Fürst -Woiwode und der ehrbare alte
Laudedelmann, der grundsatzlose Höfling und der verwegne händel-
süchtige „Albenser." Alle Grazien der Verderbniß, alle Wehmuth

*) Der „Czaö" nannte neulich als solchen den Grafen Heinrich Rzewnski.
 
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