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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 4.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1206#0070
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die bezeichnten Kategorien, wie die Bemerkungen über den soge-
nannten marathonischen Löwen vor dem Arsenal (S. 45), die Grab-
mäler Canova's und Tizians (S. 58), die Statue des Colleoni
(S. 280) zeigen, bei welcher letzteren der Moment der Bewegung
des Pserdes so offenbar falsch aufgefaßt ist, daß man an der Gründ-
lichkeit der bei den Bronzerossen an der Markuskirche, und bei Ge-
legenheit der Besprechung der öffentlichen Reitbahn vorgebrachten
hippologischen Kenntnisse des Vers, zweifelhaft werden könnte.

Vollends aber ist der Baukunst ihr Recht nicht geschehen, da
nicht blos das völlige Mißverstehen mancher Bauformen, ja ganzer
Baustyle (wir heben die Kritik hervor, welche die übrigens nicht
blos „von den Venetianern so hoch geschätzte" Kirche San Zaccaria,
namentlich deren Faeade, S. 372 und 373 hat erfahren müssen),
sondern auch die Unkenntniß und demgemäße falsche Anwendung
technischer Bezeichnungen (Gesimse, Pfeiler, Säulen) zu tadeln ist.
— Eine richtige Würdigung der Architektur, dieses so charakteristi-
schen Elementes Venedigs, ist demnach nicht zu erwarten; und wenn
das Kunsturtheil des Verfassers überall mehr ein verständiges, als
ein ästhetisches ist, so gilt dies vorwiegend von dem architektonischen
Urtheile, welches das „Schöne" nicht selten blos „hübsch" findet
und die Kostbarkeit des Materials bisweilen in unzuständigem
Umfange als einen ästhetischem Werthmesser des Bauwerks gebraucht.

Dagegen kommt die vorwiegend verständige Richtung des Ur-
theils dem Buche in dem Theite zu Gute, der nicht die Kunst zum
Gegenstände hat. Für die Sitten und den Charakter des Volts,
für sein Leben und Treiben nach allen Richtungen geistigen und
leiblichen Interesses hin, hat der Verfasser eine vortreffliche Beob-
achtungsgabe, die selbst Nebensächliches treu erfaßt, sowie eine ge-
sunde Auffassung in auerkenneuswerther Mitte von idealistischer
Ueberschwänglichkeit und realistischer Blasirtheit. Es liegt hierin der
Hauptwerth des Buches, und zwar ist derselbe denjenigen Schilde-
rungen des Südens gegenüber, die der Phantasie des Autors reich-
lich so viel verdanken, als der Wirklichkeit, ein absoluter Werth.
Für Beschreibungen und Schilderungen von Land und Leuten ist es
unerläßlich, der Objectivität des Stoffes seine volle Geltung einzn-
räumen. Dies ist nur möglich, wenn man den Stoff ganz durch-
drungen hat, nicht schon nachdem man nur sich oberflächlich von ihm
hat berühren lassen, wie die schriftlichen und bildlichen Schilderun-
gen derjenigen beweisen, die sich berufen hielten, etwa nach achttägi-
gem Aufenthalte in Venedig oder Florenz oder nach vierzehntägigem
in Rom, der Mit- und Nachwelt ihre Anschauungen von der
Sache, die gar nicht mehr als oberflächlich sein können, als die
Sache selbst vorzuführen. Hierher gehören beispielsweise ganze
Abschnitte aus dem Stahr'scheu Jahre in Italien, oder auf dem
Gebiete bildlicher Darstellung die Scenen aus dem Volksleben, welche
hier und da in das sonst sonst so lobwürdige pittoreske Italien Carl
Frommels ein Stück Naturuuwahrheit bringen. In Bezug auf
eine Lebenswahrheit in der beregten Hinsicht also, verdient das vor-
liegende Werk alles Lob, so daß es Allen empfohlen werden kann,
denen es lediglich um getreue Kenntniß der factischen Verhältnisse
zu thun ist. Ein Kenner der Lagunenstadt bemerkt freilich Trivia-
les und Uncharakteristisches, dem sich ganz unmotivirte lange Ab-
schweifungen (z. B. umständliche Inhaltsangabe eines unbedeu-
tenden französischen Romans, S. 104) und gcmeinplätzliche Sen-
tenzen oft ohne alle alle Vermittelung anreihen. Auch läßt die
Darstellung in der Hinsicht zu wünschen übrig, daß sie mei-
stens nicht über den Conversationston des Salons hinausgeht,
der es denn selbst zuweilen mit sich bringt, daß der stylistische Aus-
druck hinter dem Gedanken zurückbleibt. Ein gewisser Schwung und
Eleganz des Technik gehört einmal mit zur Lebenswahrheit und
Lebensfrifche der Schilderungen. Wurde der Verfasser auch hierin
seinen Stoff beherrscht haben, so würden seine Bilder des ausgezeichue-

neten Lobes werth geworden sein, das man einem Portrait zollt,
wenn man cs sprechend ähnlich findet, ohne das lebende Original
zu kennen.

Sollte der geehrte Verfasser Gelegenheit gehabt haben, auch
einen Sommer in Venedig zuzubringen; so dürfte er, falls er sich
auf das ihm angemessene Feld, und zwar innerhalb desselben auf
das Charakteristische beschränkt, und sein Kunsturtheil, soweit es nicht
sicherer gestellt ist, den Nichtlaieu mehr unterordnet, sehr Wohl im
Stande sein, das Biuzer'sche Buch über Venedig, den einzigen
bisherigen Führer in deutscher Sprache, der sich ausführliche Detail-
schilderungen zur Aufgabe gemacht hat, aus seiner Stellung zu ver-
drängen. — Für das durchgängige Verständniß des Buches in wei-
teren Kreisen wäre es übrigens rathsam, den Citaten im Dialekte
Venedigs, der vom toskanischen sehr abweicht, überall eine Ueber-
setzung hiuznzusügcn.

Erdichte von Arrnhord Endrulot.

Hamburg, Gust. Karl Würger. 1857.

Wenn ein scharfer Kritiker einmal irgendwo sagt, ein lyrischer
Dichter solle nicht blos „von seinem Birnbaum, seiner Char-
lotte und seinen seichten, unverständlichen Empfindungen sprechen":
so drückt er damit nur negativ und sinnlich schlagend die Forderung
der Jdealisation der Gegenstände und ihrer Eindrücke aus. Nicht
als ob jene, wie man früher glaubte, darin bestände, daß alles Be-
sondere abgestreift würde, wo denn zuletzt nur ein leeres Allgemeines
übrig bliebe; sondern die Gegenstände und ihre Eindrücke sollen, mit
Beibehaltung des wesentlichen Individuellen, nur in solchen Gesichts-
punkt und solche Beleuchtung gerückt werden, daß sie, jedem Em-
pfänglichen alsbald verständlich, ihn zur Mitempfindung nöthigen.
In diesem Sinne ist die wahrste, weil allgemein verständlichste, Ju-
dividualifation zugleich die höchste Jdealisation. Die Bestimmt-
heit also in der Anschauung des Gegebenen — des Gegenstandes,
der Situation :c.; die Bestimmtheit in der Darstellung der dadurch
erweckten Gefühle, die doch, ihrer tiefern Natur nach, zugleich an
ein Unendliches erinnern; die Bestimmtheit endlich der Form,
d. h. deren Geschlossenheit, Klarheit und Korrektheit — sind wesent-
liche Erfordernisse eines guten lyrischen Gedichtes. Die bloße Dar-
legung von des Dichters Seelenlage überhaupt, seiner Stimmung
als Reflex des Subjektes an den Gegenständen, besonders, wenn sie
sich blos klagend verhält, kann uns nur momeutweis iuteressireu, eS
sei denn, daß sie sich als große Gefühlstiefe, wie bei Byron, oder
große Gedankenfülle, wie bei Schiller, kund giebt.

Zu dieser Betrachtung veranlassen uns die Gedichte B. Eu-
drulats, in denen uns vorzugsweise nur das dichtende Subjekt inte-
ressirt; denn dieses tritt uns mit schätzenswertheu Eigenschaften da-
raus entgegen. Reinheit der Gesinnung, Streben nach Höherem,
Sehnsucht, das Edlere verwirklicht zu sehen, und in Folge dessen
Haß gegen den Schein, das Schlechte und Niedrige, und endlich der
Drang, dies Alles in würdiger und wirksamer Weise auszusprechen,
zeugen von Berns zum lyrischen Dichter. Dies aber in erfolgreich-
ster Art zu sein, hindert ihn ein jugendlicher, noch nicht hinreichend
abgeklärter Geist, und der schon früh bittere Täuschungen hinsicht-
lich eines reinen und edel bethätigten Wollens erfahren. Das be-
weisen seine Lieder: „vom Baume der Zeit", die „eines gefangenen
Dichters", „der Flüchtling im Dorfe", „den Jüngern der Idee"
u. s. w. Daher bestehn des Vers. Lieder meist in Klagen, mit Aus-
nahme der wenigen, die unter den Rubriken: „Neues Leben, neues
Dichten" und „Kleine Lieder" mitenthalten sind. Die Liebe giebt
ihm die häufigste Veranlassung, die Wunden aufzuzeigen, die entwe-
der der geliebte Gegenstand oder die Macht der Verhältnisse ihm
 
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