Literatur
i
&
latt
des
Deutschen Annstbtattes.
M 15.
Donnerstag, den 23. Juli.
1837.
Inhalt: Ralph Waldo Emerson über Göthe und Shakespeare. Aus dem Englischen nebst einer Kritik der Schriften Emerson's von Hcrman Grimm
(Schluß.) — Fester Grund. Dichtungen von Julius Hammer.-
Aus dem Englischen nebst einer Kritik der Schriften Emerson's von
Herman Grimm.
Hannover. Carl Rumpler 1857.
- ' (Schluß.)
Die Besprechung einzelner Werke Göthe's verlassend, wenden
wir uns mit besonderem Interesse zu Emerson's Vergleichen des
deutschen mit dem französischen, englischen und amerikanischen Schrift-
stellcrthnm. Eine Eigenschaft, sagt er, sei es vornämlich, die Göthe
mit seiner ganzen Nation gemein hat, und die ihn in den Angen
des französischen wie des englischen Publikums zu einer ausgezeich-
neten Erscheinung macht: daß sich Alles bei ihm nur aus die
Ralph Waldo Emerson ülier Voethc und Shakespeare. UN Auge dabei, das noch besser ist. Der alte ewige Geist, welcher
die Welt baute, senkte sich in diesen Mann - tiefer als in irgend einen
andern.
Nachdem man den Amerikaner bis hieher als Göthe's wärmsten
Lobredner gehört, wird eS befremden, ihn schließlich zu einem mit
diesem Anlauf schwer vereinbaren Resultate kommen zu sehn.
Das könne er nicht sagen, beginnt er ganz unvermittelt, daß
Göthe die höchste Höhe erreichte, von der herab der Genius zum
Volk gesprochen hat, daß er der höchsten Einheit sich zum Opfer
darbrachte. Er sei unfähig, seinem Willen zu entsagen, auch wenn
demselben das moralische Gefühl entgegen wäre. Es gebe edlere
Klänge im Gedicht, als er sie jemals ertönen ließ. Es gebe Schrift-
steller, ärmer an Talent, doch reiner in ihrem Gesänge, der in
innere Wahrheit basirt- In England und Amerika rcspectire' man höherem Grade das Herz ergreife. Niemals könne Göthe den Men
das Talent, allein man sei zufrieden gestellt, wenn es für oder gegen
eine Partei seiner Ueberzeugung nach thätig ist. In Frankreich sei
man schon entzückt, wenn man nur brillante Gedanken sieht, einerlei
wohin sie wollen. Ter deutsche Geist besitze weder die französische
Lebhaftigkeit, noch das für das Praktische zugespitzte Verständniß der
Engländer, noch endlich die amerikanische Abenteuerlichkeit; allein,
was er besitzt, sei eine gewisse Probität, die niemals beim äußeren
Scheine der Dinge stehen bleibt, sondern immer wieder auf die
Hauptfrage zurückkommt „wo will das hin?" Das deutsche Publikum
verlange von einem Schriftsteller, daß er über den Dingen stehe
und sich einfach darüber ansspreche. Geistige Regsamkeit ist vor-
handen: wohlan: wofür tritt sie auf? Was ist des Mannes Mei-
nung? Woher? — woher hat er all diese Gedanken? Talent allein
macht den Schriftsteller nicht. Es muß ein Mann hinter dem Buche
stehn. In England und Amerika kann sich Jemand auf griechische
und lateinische Dichtung verstehn, ohne den mindesten poetischen Ge-
schmack ju besitzen, ohne Begeisterung zu empfinden. Der deutsche
Student aber, wenn er längst den Hörsaal verlassen hat, brütet noch
über dem, waö er darin gehört hat, und der Professor selbst kann
sich nicht von der Idee losmachen, die Wahrheit der Philosophie
sei einer direkten Anwendung auf Berlin und München fähig.
Dieser tiefe Ernst, mit dem sie ihre Studien betreiben, setzt ftc in
den Stand, Männer zu durchschauen, welche bei weitem begabter
sehen ein geliebter Freund sein. Seine Verehrung wende sich nicht
zur Wahrheit allein, sondern er verehre sie, um sie als Mittel zur
Bildung zu benutzen. Sein Ziel sei die Eroberung der ganzen
Natur. Er sei der Typus der Bildung, der Dilettant in allen
Künsten, Wissenschaften und Ereignissen: .künstlerisch, aber kein Künst-
ler, geistreich aber nicht geistig.
Der Uebersetzer scheint bei dem letzten' Satze selbst gestutzt zu
haben, und indem er dem Leser die Prüfung seiner Uebertragung
überläßt, giebt er den Satz zugleich im Original: I-Amtie, but
not artist; spiritual, but not spiritualist.
Die Selbstbiographie „Wahrheit und Dichtung", sagt Emerson,
sei die Verkörperung eines Gedankens, der für England, das alte
wie das neue, zur Zeit als das Buch erschien, etwas Neues war:
daß ein Mann nur seiner Bildung wegen auf der Welt ist, nicht
um dessentwillen, was er vollbringen kann, sondern was in ihm
vollbracht werden kann. Die Rückwirkung der Dinge auf den Men-
schen ist das allein nennenswerthe Resultat des Lebens. Ein in-
tellectueller Manu kann sich selbst betrachten, als sei er eine dritte
Person. Seine Fehler und Mißgriffe interessiren ihn in ebenso
hohem Grade als seine Erfolge. So sehr es sein Wunsch ist, glück-
lich in seinen Unternehmungen vorwärts zu gehen, so giebt es den-
noch einen höheren Wunsch für ihn: die Geschichte und die Bcstim-
mung des Menschen kennen zu lernen, während die selbstsüchtigen
Naturen, die in dichten Schaaren seine Schritte nmdrängen, nichts
als sie selbst sind. Aus diesem Grunde sind die in der höheren
Eonversation gebräuchlichen Unterscheidungsbegriffe alle deutschen als ihre erbärmlichen Erfolge im Auge haben. Diese Idee sei die
Ursprungs. .Während Engländer und Franzosen ihr Studium und! herrschende in „Wahrheit und Dichtung", Goethe, indem er von
ihren Standpunkt mit einer gewissen Oberflächlichkeit ansehn, spricht! Kepler, Bacon, Galilei spreche, ziehe eine Linie von Goethe zu Kep-
Göthe, das Haupt und der Inhalt der deutschen Nation, nicht weil Ter, von Goethe zu Newton, und dies einfache Ziehen der Linie sei
er Talent hat, sondern die Wahrheit conceutrirt ihre Strahlen in für den Mann und die Zeit die Lösung eines ungeheuren Problems,
seiner Seele und leuchtet heraus aus ihr. Er ist weise im höchsten Solche Arbeit mache ihm Vergnügen, wenn Iphigenie und Faust
Grade, mag auch seine Weisheit oftmals durch sein Taleilt vcr- ihn nicht gerade fesseln, und sie koste ihm nicht den kleinsten Theit
schleiert werden. Wie vortrefflich das ist, was er sagt, er har etwas I jener erfinderischen Anstrengung, deren er bei Faust und Iphigenie
Literatur-Blatt. . ' . . • 15
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Deutschen Annstbtattes.
M 15.
Donnerstag, den 23. Juli.
1837.
Inhalt: Ralph Waldo Emerson über Göthe und Shakespeare. Aus dem Englischen nebst einer Kritik der Schriften Emerson's von Hcrman Grimm
(Schluß.) — Fester Grund. Dichtungen von Julius Hammer.-
Aus dem Englischen nebst einer Kritik der Schriften Emerson's von
Herman Grimm.
Hannover. Carl Rumpler 1857.
- ' (Schluß.)
Die Besprechung einzelner Werke Göthe's verlassend, wenden
wir uns mit besonderem Interesse zu Emerson's Vergleichen des
deutschen mit dem französischen, englischen und amerikanischen Schrift-
stellcrthnm. Eine Eigenschaft, sagt er, sei es vornämlich, die Göthe
mit seiner ganzen Nation gemein hat, und die ihn in den Angen
des französischen wie des englischen Publikums zu einer ausgezeich-
neten Erscheinung macht: daß sich Alles bei ihm nur aus die
Ralph Waldo Emerson ülier Voethc und Shakespeare. UN Auge dabei, das noch besser ist. Der alte ewige Geist, welcher
die Welt baute, senkte sich in diesen Mann - tiefer als in irgend einen
andern.
Nachdem man den Amerikaner bis hieher als Göthe's wärmsten
Lobredner gehört, wird eS befremden, ihn schließlich zu einem mit
diesem Anlauf schwer vereinbaren Resultate kommen zu sehn.
Das könne er nicht sagen, beginnt er ganz unvermittelt, daß
Göthe die höchste Höhe erreichte, von der herab der Genius zum
Volk gesprochen hat, daß er der höchsten Einheit sich zum Opfer
darbrachte. Er sei unfähig, seinem Willen zu entsagen, auch wenn
demselben das moralische Gefühl entgegen wäre. Es gebe edlere
Klänge im Gedicht, als er sie jemals ertönen ließ. Es gebe Schrift-
steller, ärmer an Talent, doch reiner in ihrem Gesänge, der in
innere Wahrheit basirt- In England und Amerika rcspectire' man höherem Grade das Herz ergreife. Niemals könne Göthe den Men
das Talent, allein man sei zufrieden gestellt, wenn es für oder gegen
eine Partei seiner Ueberzeugung nach thätig ist. In Frankreich sei
man schon entzückt, wenn man nur brillante Gedanken sieht, einerlei
wohin sie wollen. Ter deutsche Geist besitze weder die französische
Lebhaftigkeit, noch das für das Praktische zugespitzte Verständniß der
Engländer, noch endlich die amerikanische Abenteuerlichkeit; allein,
was er besitzt, sei eine gewisse Probität, die niemals beim äußeren
Scheine der Dinge stehen bleibt, sondern immer wieder auf die
Hauptfrage zurückkommt „wo will das hin?" Das deutsche Publikum
verlange von einem Schriftsteller, daß er über den Dingen stehe
und sich einfach darüber ansspreche. Geistige Regsamkeit ist vor-
handen: wohlan: wofür tritt sie auf? Was ist des Mannes Mei-
nung? Woher? — woher hat er all diese Gedanken? Talent allein
macht den Schriftsteller nicht. Es muß ein Mann hinter dem Buche
stehn. In England und Amerika kann sich Jemand auf griechische
und lateinische Dichtung verstehn, ohne den mindesten poetischen Ge-
schmack ju besitzen, ohne Begeisterung zu empfinden. Der deutsche
Student aber, wenn er längst den Hörsaal verlassen hat, brütet noch
über dem, waö er darin gehört hat, und der Professor selbst kann
sich nicht von der Idee losmachen, die Wahrheit der Philosophie
sei einer direkten Anwendung auf Berlin und München fähig.
Dieser tiefe Ernst, mit dem sie ihre Studien betreiben, setzt ftc in
den Stand, Männer zu durchschauen, welche bei weitem begabter
sehen ein geliebter Freund sein. Seine Verehrung wende sich nicht
zur Wahrheit allein, sondern er verehre sie, um sie als Mittel zur
Bildung zu benutzen. Sein Ziel sei die Eroberung der ganzen
Natur. Er sei der Typus der Bildung, der Dilettant in allen
Künsten, Wissenschaften und Ereignissen: .künstlerisch, aber kein Künst-
ler, geistreich aber nicht geistig.
Der Uebersetzer scheint bei dem letzten' Satze selbst gestutzt zu
haben, und indem er dem Leser die Prüfung seiner Uebertragung
überläßt, giebt er den Satz zugleich im Original: I-Amtie, but
not artist; spiritual, but not spiritualist.
Die Selbstbiographie „Wahrheit und Dichtung", sagt Emerson,
sei die Verkörperung eines Gedankens, der für England, das alte
wie das neue, zur Zeit als das Buch erschien, etwas Neues war:
daß ein Mann nur seiner Bildung wegen auf der Welt ist, nicht
um dessentwillen, was er vollbringen kann, sondern was in ihm
vollbracht werden kann. Die Rückwirkung der Dinge auf den Men-
schen ist das allein nennenswerthe Resultat des Lebens. Ein in-
tellectueller Manu kann sich selbst betrachten, als sei er eine dritte
Person. Seine Fehler und Mißgriffe interessiren ihn in ebenso
hohem Grade als seine Erfolge. So sehr es sein Wunsch ist, glück-
lich in seinen Unternehmungen vorwärts zu gehen, so giebt es den-
noch einen höheren Wunsch für ihn: die Geschichte und die Bcstim-
mung des Menschen kennen zu lernen, während die selbstsüchtigen
Naturen, die in dichten Schaaren seine Schritte nmdrängen, nichts
als sie selbst sind. Aus diesem Grunde sind die in der höheren
Eonversation gebräuchlichen Unterscheidungsbegriffe alle deutschen als ihre erbärmlichen Erfolge im Auge haben. Diese Idee sei die
Ursprungs. .Während Engländer und Franzosen ihr Studium und! herrschende in „Wahrheit und Dichtung", Goethe, indem er von
ihren Standpunkt mit einer gewissen Oberflächlichkeit ansehn, spricht! Kepler, Bacon, Galilei spreche, ziehe eine Linie von Goethe zu Kep-
Göthe, das Haupt und der Inhalt der deutschen Nation, nicht weil Ter, von Goethe zu Newton, und dies einfache Ziehen der Linie sei
er Talent hat, sondern die Wahrheit conceutrirt ihre Strahlen in für den Mann und die Zeit die Lösung eines ungeheuren Problems,
seiner Seele und leuchtet heraus aus ihr. Er ist weise im höchsten Solche Arbeit mache ihm Vergnügen, wenn Iphigenie und Faust
Grade, mag auch seine Weisheit oftmals durch sein Taleilt vcr- ihn nicht gerade fesseln, und sie koste ihm nicht den kleinsten Theit
schleiert werden. Wie vortrefflich das ist, was er sagt, er har etwas I jener erfinderischen Anstrengung, deren er bei Faust und Iphigenie
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