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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0152
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Ein Wort nur und ich geh'; doch.bringst du's über dich,
In deiner Nähe mich zu dulden, — dulde mich;

Und bieg' ich je um Straßenecken,

Und fügt sich's, daß wir just uns gegenüberstehn,

Geh' ohne Furcht vorbei, ich Hab' dich nicht gesehn,

Kein Blick von mir soll dich erschrecken.

Nur birt' .ich, laß mich schau'n, indes; dein Tritt verhallt,
Von Ferne deines Leibs anmuthige Gestalt,

Wenn mich kein Zeuge kann belauschen,

Daß an dem schlichten Gang, am Zauber ungeahnt,

An dem geheimen Reiz, woran der Gang mich mahnt,
Sich meine Seele mag berauschen.

Mein Herz wird jauchzen dann; von tausend Melodie'n
Wird eine Harmonie mein ganzes Sein durchziehn,
Mein Sehnen all wird mit dir schreiten;

Ein Heer von Wünschen soll zu deinem Wohlergehn,
Wenn mich der Himmel hört, wie Engel ungesehn
An jenem Tage dich begleiten.

Brizeüx ist vor Allem der Dichter der Frauen, der Dichter
des häuslichen Herdes, der Familie; er hat ein durchaus eigen-
thümliches individuelles Gepräge, eine echte Originalität im Ge-
wände maßvoller Bescheidenheit, Idealität ohne alle Mystik; er
ist schön in seiner klaren Einfachheit, zart ohne weinerliche Sen-
timentalität. — Brizeux dichtete auch im bretonischen Idiom,
als ob, sagt ein französischer Kritiker mit jenem unerbittlichen
Esprit, als ob es nicht schon hinreichen würde, schöne französische
Verse zu schreiben,-um unbekannt zu bleiben. Und wirklich, wenn
es einerseits fast unerklärlich ist, wie das neuere Frankreich einen
solchen Dichter Hervorbringen konnte, so wird doch andrerseits
Niemand darüber erstaunt sein, daß Brizeux dort gar nicht oder
lange nicht so populär ist, wie er es verdient. Für ein gewöhn-
liches französisches Publikum ist er zu gewählt, zu fein und zu
wenig spezifisch französisch. In seiner ganzen Lebensweise zeigt
sich jener unpraktische Zug einer idealistischen Künstlernatur, der
sonst nur dem Deutschen eigen ist, und auch der Umstand, daß
Brizeux erst nach seinem Tode so eigentlich auf den Schild ge-
hoben wird,, ein Vorzug, dessen sonst namentlich die Deutschen
genießen, trifft hier bei der Vergleichung zu.

Herr Sainte-Beuve von der Akademie hat es für nöthig
erachtet, in seinen „xortraits eonteinxorains" jede Verwandt-
schaft unseres Dichters mit der nordischen Poesie (worunter er
hauptsächlich die deutsche versteht) in Abrede zu stellen, und wenn
hiebei der Kritiker mit einem unnachahmlichen Zartsinn halb aus-
spricht, halb errathen läßt, daß er Melancholie und Mystik und
eine entsprechende Unsicherheit und Verschwommenheit in der Form
uoch immer für unerläßliche Grundbedingungen deutscher Poesie
hält, so überkommt uns unwillkürlich das tröstliche Gefühl, als
ob auch die Kritik des hie und da ein wenig preciosen Herrn
Sainte-Beuve Etwas von der Naivetät des besprochenen Dichters
profitirt hätte.

Außer seinem Aufenthalt in Italien lebte Brizeux meist in
einer Bauernhütte in einem verborgenen Winkel seiner Bretagne.
Neben dem Ertrag seiner. Arbeiten bezog er eine kleine Pension
vom Ministerium des öffentlichen Unterrichts, die kaum hinreichend
war, ihn vor Dürftigkeit zu bewahren. Nie benützte er die Ge-
legenheit, sich an einträglichen schriftstellerischen Unternehmungen
zu betheiligen, die ihn von seinen Idealen abgezogen hätten. In
Prosa schrieb er nur flüchtig und mit Widerstreben, und man
besitzt von ihm nur eine einzige bedeutende prosaische Arbeit, eine
Aebersetzung Dantes. Die französische Akademie war eben im
Begriff, ihn zum Mitgliede zu ernennen, als der Tod ihn an

die Entbehrlichkeit dieser Auszeichnung erinnerte, nach der er sein
ganzes Leben lang gestrebt haben soll.

So hätten wir denn hier auf einen neuern Dichter aufmerk-
sam gemacht, der nicht groß, nicht schwungvoll, nicht pikant,
aber sinnig und natürlich ist, unabhängig von jeder Schule, jeder
Coterie, jedem Zeitinteresse, jeder Mode. Offener Sinn für
Natur, ein gesundes religiöses und moralisches Gefühl bilden
den Grundton in all seinen Werken. Die gelungensten derselben
sind immer der Ausfluß einer wahren Empfindung; deßwegen
besteht ihr eigenthümlicher Zauber auch darin, daß sie die geheim-
sten Saiten des Gemüthes berühren und uns zum Mitempfin-
den zwingen, wo andere französische Dichter höchstens Staunen
in uns erregen. Brizeux schildert nicht, um zu schildern, sondern
um seinen Gestalten Relief zu geben; er malt leblose Natur,
aber sie ist ihm nur Hintergrund zur Handlung, Folie zum Ge-
danken. Nicht nur wird Brizeux, was er heute Werth ist, zu
jeder Zeit Werth sein, — ein Lob, das man außer einer nicht 'allzu-
großen Zahl B«ranger'scher Chansons vielleicht keinem neuern fran-
zösischen und überhaupt nur äußerst wenigen neuern Dichtern nach-
sagen kann —, sondern seine bessern Schöpfungen werden, wie jener
deutsche Dichter von seinem Gesang sagt, „mit den Jahren zuneh-
men, wie deutscher Wein", wenn man nämlich von den Franzosen
hoffen darf, was. Platen bei den Deutschen voraussetzt, daß sich
ihr Geschmack läutern und bessern werde.

Wenn wir es wiederholt betonen, daß Brizeux in Frank-
reich noch lange nicht so populär ist, wie er es verdient, so müssen
wir gleichzeitig mit Anerkennung erwähnen, daß die competentesten
französischen Kritiker diesen Dichter vielfach und günstig bespre-
chen. Sollte das mit andern Erscheinungen, mit der Pflege
deutscher Kunst, namentlich der Musik, mit der Neigung zum
Gesunden, Einfachen, Natürlichen, die auch in der Literatur nach
so vielen Verirrungen und Geschmacklosigkeiten in neuester Zeit
einer namhaften Zahl nicht unbegabter junger französischer Schrift-
steller eigen ist, in innigerem Zusammenhang stehen, — und
sollte wirklich all das mehr als bloße Nachahmungssucht, mehr
als eine vorübergehende Mode sein? Heinrich Leukhold.

Am 12. November ging das Schauspiel Oskars von Red-
witz, „Philippine Welser" zum ersten Mal über die Münchner
Bühne. Wir halten es für eine Pflicht der Gerechtigkeit, in
demselben Blatte, das nicht unterließ die früheren Blößen des
Herrn v. Redwitz zum gemeinen Besten aufzudecken, dieser seiner
neuesten Arbeit das Zeugniß eines ungeahnten Fortschrittes aus-
zustellen. Man braucht nickt einmal auf die Siglinde zurück-
zugehen; viel näher liegt der Vergleich mit dem Thomas Morus.
Die zwei hervorstechenden Eigenschaften dieses historischen Trauer-
spiels, völlige dramatische Unbehülflichkeit und eine nur durch
fromme Geschmacklosigkeiten gemäßigte Langeweile, finden sich bei
dem'neuesten Stücke nur in den beiden ersten Acten wieder, und
auch hier in geringerem Maße. Vom dritten Act an nimmt
das Interesse einen plötzlichen Aufschwung und sinkt bis ans Ende
nicht wieder, so daß es fast scheint, als stamme der Anfang aus
einer früheren Zeit und der Verfasser habe es verschmäht, spätere
dramatische Erkenntnisse demselben nachträglich zu Gute kommen
zu lassen. Dieser Uebelstand erschwert es uns aber bedeutend,
die Philippine Welser so zu loben, wie es die drei letzten Acte

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