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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 4.1899

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Schölermann, Wilhelm: Wiener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.6387#0098

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374

Wilhelm Schölermann: Wiener Brief.

Die dekorative Anordnung dieser Aus-
stellung war nach den Entwürfen des Archi-
tekten Josef Hofmann durchgeführt worden
und verdient volle Anerkennung. Durch
einfache, ruhige Farbengegensätze, bei aus-
giebiger Verwendung von dunkel- und hell-

HANS SCHWAIGER.

Selbstbildniss.

blau, war ein einheitlicher und wohlthuender
Eindruck gewahrt. Breite, schwungvolle
Formen auf harmonischem Tonuntergrund
kamen zu bester Wirkung in den Wand-
bekleidungen, Schränken und Sesseln, von
eigenartiger und zugleich zweckentsprechender
Erfindung. Auch die Sekretariatsräume sind
von Hofmann in dieser Weise jetzt ausge-
staltet worden. Der Zugang zu Klinger's
Bild war durch eine Doppelreihe gleich-
gewachsener Lorbeerbäume flankirt, um die
Stimmung in angemessener Weise vorzu-
bereiten. Klinger selbst äuserte sich bei
seinem Besuch in Wien, dass sein »Christus«
noch nirgend so günstig ausgestellt gewesen
sei. Wenn Hofmann auf diesem Wege fort-
schreitet, wird er zweifelsohne noch auf dem
Gebiete der Eintheilung und Ausschmückung
des Innenraumes viel Erfolg ernten können.
Sowohl Hofmann, wie Olbrich sind mit

einem Gefühl für den Raum und gleichzeitig
für Farbe begabt, welche in dieser Ver-
einigung bei Architekten selten ist.

Es zeigt sich hier wieder die eigen-
thümliche Erscheinung, dass so manchen
dekorativen Begabungen, welche einen
grösseren gegebenen Raum mit Verständniss
einzutheilen wissen, häufig die nöthige Ein-
stellungsfähigkeit des Auges" abgeht, sobald
es sich um den Schmuck einer Druckseite
handelt! Im Rahmen einer modernen illu-
strirten Kunstzeitschrift tragen unsere Se-
zessionisten eine Unbeholfenheit zur Schau,
die etwas methodisches an sich hat. Diese
Methode muss aber als verkehrt bezeichnet
werden, weil sie ihren Hauptzweck verfehlt.
Denn es genügt nicht, ein Kunst- und
Kulturblatt nur von dem Gesichtspunkt aus-
gehen zu lassen, »die Philister zu ärgern« und
dadurch »bessern und bekehren« zu können.
Nicht durch »Geschmacksohrfeigen«, sondern
einzig durch ernstes, künstlerisches Beispiel
kann man aufklären und kunstempfängliche
Gemüther überreden. Auf die ganz Theil-
nahmlosen wirkt überhaupt nichts ein. Da
ist jedes, auch das raffinirteste Bemühen
»verlorene Liebesmüh«. Hieraus erklärt sich
der bisherige Misserfolg des Vereinsorgans
der Wiener Secession. Unter selten günstigen
Vorbedingungen wurde es ins Leben ge-
rufen, aber die reife Geschmacksbildung
und das illustrative Feingefühl waren nicht
hinreichend, um die aufdringliche Selbst-
bespiegelung zu rechtfertigen, die in so
drastischer Weise zutage trat und in keinem
Verhältniss zur künstlerischen Potenz stand.
So ward uns an Stelle des langen Winter-
schlafes ein heiliger Frühling beschieden, in
dessen schrankenloser Ungebundenheit alle
Geister des naivsten Grössenwahns ihr
neckisch Spiel trieben. Durchblätterte man
die Hefte, so wurde ein verwirrendes Durch-
einander von widerstreitenden Linien, Farben
und Techniken auf jeder Seite sichtbar, die
sich gegenseitig erdrückten, gleich den
kämpfenden Geistern in den Lüften nach
der Hunnenschlacht. Unruhige Wühlgeister,
die sich für stark halten, weil sie auf-
geregt sind, begleiten jede Weltbewegung.
Den ruhigeren sicheren Fortschritt schafft
 
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