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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 11.1902

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Becker, Marie Luise: Etwas von der Kunst des Blumen-Bindens
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https://doi.org/10.11588/diglit.6694#0275
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256

Marie Luise Becker: Von der Kunst des Blumenbindens.

paul jaspar—luitich.

Land-Haus eines Künstlers bei Lüttich.

Manschette imittierte, roh ausgeschlagen, eine
kostbare Spitze, oder eine billige, hartge-
stärkte Spitze umgrenzte die Pappform.
Dicht und regelmässig aneinandergedrängt
waren dort die einzelnen Blüten auf Draht
gespiesst, sie bildeten ein Ornament, einen
Stern oder gar einen Namenszug. Arme
Mutter Natur, wie misshandelte man deine
Kinder! Heute ist jede Blüte uns heilig,
mehr noch die Pflanze. Wie sie gewachsen,
wie die Gottes-Hand sie geschaffen, die sie
in Wald und Garten pflanzte, so ist sie
schön, so ist sie ein Kunst-Werk. Nicht
nach der Idee der Kunst-Form soll sie
stilisiert werden, sondern ihre Verwertung
soll sich nach dem Wesen der Blumen und
nach der Linien-Harmonie ihres Wachstums
richten. Das ist Binde-Kunst: zum rechten
Zweck das rechte Material, kein zum unrechten
Zweck vergewal-
tigtes Material!
In schlanker Vase
ein Blüten - Stiel,
nicht zurechtge-
drückt und an
Drahtstützen ge-
bogen — nein, in
seiner ursprüng-
lichen, ureigenen,
urschönen Form,

architekt paul
jaspar—lüttich.

auch nicht mit anderen, fremden gemein-
sam, sondern allein für sich und fertig in
sich. Hier ist weniger die Hand zu üben
als das Auge. Das Auge sucht den rechten
Zweig für diese oder jene Vase, das Passende
zur Stimmung des Zimmers, des Wasser-
Gefässes, es fügt nur zusammen, was sich
aneinander schmiegen kann und miteinander
durch Farbe und Wuchs harmoniert. Innigste
Naturliebe, feinstes Natur-Verständnis ist die
Seele moderner Blüten - Verwertung. Die
Japaner lehrten es uns. Dort gibt es Binde-
Schulen, in denen junge Mädchen durch
stundenlange Übungen lernen müssen, was
sich uns, sehen wir so einen japanischen
Blüten-Zweig in schlichter Vase, so selbst-
verständlich und einfach zeigt. Heute ist
jede Blüte uns wert, die Wald und Wiese,
Treib-Haus und Garten-Land uns gaben,

jede einzelne eine
Kunst-Form der
Mutter Natur, ein
zauberhaftes, in-
dividuelles Stück
Schönheit, in sich
vollendet. Und
so sei sie denn
auch verwertet!

Marie Luise
Becker—Berlin.

garten - hauschen
umzäunung s. 25O.
 
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