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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Michel, Wilhelm: Wandschmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0280
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Wilhelm Michel—München: Wandschmuck.

lucien bernhard—halensee.

Tee- und Lesezimmer. Eiche, schwarz gebeizt.

lokaler Wert, seine Bedeutung, die es in
Bezug auf dieses Haus und diesen Hausherrn
hat. Nicht, daß diese Lithographie billig ist,
sondern daß sie häufig ist wie Brombeeren,
disqualifiziert sie als Wandschmuck eines
Zimmers, das drei oder vier Menschen auf
dem Kontinent besitzen.

Wäre dieser Fall vereinzelt, so ließe sich
noch darüber schweigen. Aber er scheint,
meinen Erfahrungen nach, fast die Regel zu
sein. Ich kenne ein Damenzimmer, das nahe-
zu 12 ooo Mark gekostet hat, der Preis als
Maßstab für seine technische und künstlerische
Gediegenheit genommen; und darin fungiert
als Wandschmuck eine große Photographie in
Glanzgoldrahmen. Ich kenne ein Arbeits-
zimmer, würdig eines Fürsten, in dem ein
sogenanntes »Alabaster«-Relief an der Wand
hängt, von einem hausierenden Italiener um
i Mark erstanden. Ich kenne einen Empfangs-
Salon, möbliert mit der nur zweimal aus-
geführten, höchst luxuriösen Raumschöpfung
eines der berühmtesten Kunstgewerbler Süd-

deutschlands, und geschmückt mit r. dem
»Gletscher« von F. Hoch (Ladenpreis 3 Mk.),
2. einer imitierten Bronzestatuette (Laden-
preis 10 Mark). Und ich kenne einen Maha-
goni-Salon mit reichen Perlmuttereinlagen, in
dem als einziger Wandschmuck Angelo Janks
»Eiserne Wehr« (5 Mark) fungiert, und in
einem anderen Hause ein Herrenzimmer in
Wassereiche, geziert mit demselben Kunst-
werk. Soll ich hiernach glauben, diese Fälle
seien vereinzelt? Ich habe keine Lust dazu.
Sondern ich glaube, daß ein großer Teil
unserer Gebildeten und Besitzenden Barbaren
sind, ärgere Barbaren, als die Künstler, die
für dieses Volk schaffen, sich heute oder je
haben träumen lassen. wilhelm michel.

Die Schönheit, die einer Schöpfung ihren allgemein
gültigen ästhetischen Wert verleiht, macht den
Kritiker zum Schaffenden und raunt ihm tausend
Dinge zu, an die nicht dachte, wer die Statue
meißelte, das Bild malte, die Gemme schnitt.

Oscar Wilde, Fingerzeige. Kritik als Kunst I.

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