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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Breuer, Robert: Das Reich der Zeichnung: Zur XXV. Ausstellung der Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0458
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DAS REICH DER ZEICHNUNG.

ZUR XXV. AUSSTELLUNG DER BERLINER SECESSION.

Es gab noch keinen großen Künstler, der nicht
das für ihn Entscheidende in der Zeichnung
geleistet hätte. Durch die Zeichnung enthüllt sich
der Künstler bis auf den Urgrund seiner Seele ;
er läßt uns teilhaben an dem Kampf, den er mit
der Natur täglich führt, sie zu ergründen und
sich gefügig zu machen. Die Zeichnung ist das
treueste, das unfehlbare Dokument von dem
Verhältnis des Künstlers zur Natur: ob er ihr
dient, ob er mit ihr spielt, ob er ihr zur Selbst-
erkenntnis hilft, ob er sie begeistert, ihr höheres
Sein zu enthüllen. Nach solcher vierfachen Art
wären die Zeichner einzuteilen in: unkritische
Naturalisten, Karrikaturisten, positive Analy-
tiker, idealistische Rhythmiker. Wobei selbst-
verständlich zu bedenken bleibt, daß die Kunst
noch niemals Neigung hatte, sich auf ein Schema
zu dressieren und daß der Künstler als Einzel-
ner meist ein Vielfältiger ist.

Gibt es überhaupt Naturalismus in der Kunst?
Es kann ihn nur dem Willen nach geben, nie,
was den tatsächlichen Effekt betrifft. Heute

darf man sagen, daß nur schwache Künstler,
und zwar mehr gezwungen als entschlossen den
grobschlächtigen Naturalismus wollen.

Die Karrikatur war das nächstliegende,
auch das am bequemsten zu handhabende
Mittel, das erwachende Ich gegen die Natur zu
distancieren. Wobei der Begriff des Karikatu-
ristischen nicht etwa so spezialistisch gefaßt
sein will, wie das unsere Witzblätter tun.
Karrikatur war jede bewußte, nach einem be-
stimmten System vorgenommene Abwandlung
der Natur. Wobei der Ton auf System zu liegen
hat. So wären etwa die griechischen Vasen-
bilder Karrikaturen zu nennen. Auch alle tex-
tilen Verarbeitungen naturalistischer Motive.
Es gibt überhaupt keine gewerbliche Nutzung
der Natur, die nicht durch das Medium des
Karrikaturistischen geschehen wäre. Jedes Pla-
kat, jede zur Dekoration bestimmte Zeichnung,
jede mit Absicht humoristisch, grotesk, angelisch
oder satanisch gefärbte Schilderei ist so ver-
standen: Karrikatur. Die Karrikatur ist nie

1913. VI. 1.

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