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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 33.1913-1914

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Renatus, Kuno: Unser Verhältnis zum Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.7011#0080
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Unser Verhältnis zum Stil.

FRANK EUGENE, SMITH KGL. AKADEMIE FÜR GRAPHISCHE KÜNSTE —LEIPZIG. PHOTOGR. STUDIE »WEISSE WOLKEN«

Diese Erkenntnis des Mannigfaltigen gab je-
ner Zeit ein intellektuelles Machtgefühl, das
für ihre Gestaltungsbedürfnisse ausreichte. Wir
sehen jetzt in der Kunst seit 1830 und am
schlimmsten in den 70 er Jahren nur den
Niedergang des Geschmacks. Bleibt doch immer
zu fragen, woher denn dieses Verlassensein
von allen guten Göttern nun eigentlich gekom-
men sei, denn jene Zeit war doch nicht eine Zeit
der Verrohung und materiellen Erniedrigung.
Aber alle Kunst, auch die geschmackloseste,
ist irgendwie Ausdruck und hat als solcher
eine Stelle, wo sie unwillkürlich und darum ent-
hüllend ist. So ist auch die Kunst des 19. Jahr-
hunderts der ganz adäquate Ausdruck des »Jahr-
hunderts der Geisteswissenschaften«, des Jahr-
hunderts Hegels und der Kunstgeschichte, einer
Zeit, die auf ihren intellektuellen Besitz so stolz
war, daß sie von ihm völlig absorbiert wurde.

Es ist nur logisch, daß die Bewegung, die
als Reaktion gegen diesen Intellektualismus sich
erhob, zunächst ebensowenig von Stil verstand.
Wo sollte sie es denn her haben. Es ist kein
Zufall, daß der Jugendstil ein Flächenstil war.
Für jene Zeit war »Stil« überhaupt ein Flächen-

begriff und wurde von allen so genommen. —
Man sah verhältnismäßig bald ein, daß es so
nicht ging. Man lernte ahnen, daß zum Stil
ganz andere Kräfte nötig seien als der selbst-
herrliche Wille zu Eigenformen. Man wurde
bescheiden und lernte begreifen, daß man eines
Gegenstandes Formaufgabe nur von seiner
Zweckidee aus bewältigen könne.

Dies brachte uns eine heilsame Erziehung,
aber noch nicht die Erfüllung. Spätere Zeiten
werden in den Produkten des konstruktiven
Stils vermutlich eher eine Bescheidung aus Ver-
legenheit und eine Ängstlichkeit sehen und
nicht eine Beschränkung um der großen Wir-
kung willen, wie sie strengen Zeiten von siche-
rem Gefühl zu eigen ist.

Seitdem uns der Zweckstil den Blick für das
Zwecknotwendige geschärft hat, sehen wir, in
welchem Umfange an den historischen Stilge-
bilden, auch stilstrenger Zeiten, Elemente zu
konstatieren sind, die nicht auf eine bloße
Zwecknotwendigkeit zu reduzieren sind, son-
dern eher eine Überwindung des materiellen
Zwecks, ein Leichtmachen darstellen. Dabei
sind sie aber auchkeine bloßen Schmuckfor-

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