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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 33.1913-1914

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Renatus, Kuno: Unser Verhältnis zum Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.7011#0079

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Unser Verhältnis zum Stii

FRANK EUGENE SMITH LEIPZIG. (BISHER MÜNCHEN.

wie sich eine Reinhardt-Dekoration zu einer
Dekoration der Meininger verhält.

Und man kann es von dieser Situation aus
verstehen, wie angesichts der neuerlichen bucht
nach dem Ornament, angesichts des ganz natu-
ralistischen Blumenstücks, das jetzt von man-
chen Seiten wieder vorgebracht wird, Stimmen
laut werden, die die ganzen Errungenschaften
der konstruktiven Erziehung bedroht sehen und
ein bloßes Verebben der so

mutvoll begonnenen
Bewegung konstatieren zu müssen glauben.

Aber wir glauben doch, die Zeichen ver-
trauensvoller deuten zu dürfen. Gewiß sehen
wir heute die historischen Vorbilder wieder
mit willigeren Augen an als in den Tagen des
historienfeindlichen Radikalismus, und in dieser
Aufnahmewilligkeit mag vielleicht auch ein ge-
wisses Eingeständnis eigener Ratlosigkeit liegen.
Aber wir sehen sie drum doch anders an, als
die Zeit des Historismus es tat. Unsere Auf-
fassung der historischen Stile hat sich gegen
damals geändert, weil sich unser Verhältnis
zum Stilphänomen überhaupt geändert hat.

Man muß sich nur klar machen, daß das Ver-
langen nach dem neuen Stil im Grunde aus

BILDNIS-AUFNAHME »PROF. RUDOLF VON SEITZ«

demselben Begriff von Stil hervorging, wie ihn
jener Historismus hatte, gegen den dieses Ver-
langen sich kehrte. Man hatte die Vielheit der
historischen Stile kennen gelernt, man hatte die
Bedingungen des Besonderen erfaßt, warum
jede Zeit ihren besonderen Stil hatte — also
wollte man auch seinen eigenen Stil haben.

Dabei begriff man von Stil ungefähr gerade
soviel, wie seine Erzeugerin, die dieses Wort
hervorgebracht hatte: die gelehrte Kunstge-
schichte. Es ist ja um die Rede vom Stil ein
eigen Ding. Erst im 18. Jahrhundert kam die-
ses Wort von seinem ursprünglichen Anwen-
dungsgebiet, der Rhetorik her, in allgemeineren
gelehrten Gebrauch, und erst mit dem 19. Jahr-
hundert, mit dem Aufkommen der Ästhetik,
drang es in breitere Schichten. Die Zeiten, die
Stil hatten, hatten das Wort nicht. Es scheint,
als wenn im Stil irgend welche unbewußten
Kräfte lebendig sind, die die Berührung mit
dem Wort scheuen. Die Zeit aber, die das
Wort aufbrachte, suchte es nicht aus der Er-
schauung eigenen Stilerlebens heraus, sondern
sie brauchte es zur intellektuellen Konstatierung
des historisch Verschiedenen.

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