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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 33.1913-1914

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Servaes, Franz: Kunst und Gesellschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.7011#0143

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KUNST UND GESELLSCHAFT.

VON FRANZ SERVAES.

Die Kunst besteht nicht bloß durch die Künst-
ler allein. Ihre wahre Lebensfähigkeit
empfängt sie erst durch die Rückwirkung auf
ein Publikum. Man hörte zwar öfters sagen: der
wahre Künstler schafft lediglich für sich selbst
und seine nächsten Freunde. Und in rein psycho-
logischem Sinne ist dies ja auch richtig. Inso-
fern nämlich der Künstler während des Schaffens
in seinem Inneren möglichst isoliert sein muß.
Nach dem Schaffen aber, wenn das Werk vol-
lendet dasteht, muß diese Isolierung aufgehoben
werden. Und das Geschaffene soll zu reden
beginnen. Jedwedes Reden setzt aber Hörer
voraus. Und so auch jedwedes Kunstwerk eine
empfangbereite Gemeinde. Nicht bloß damit
der Künstler dadurch gestärkt werde zu neuem
Schaffen, sondern damit das Kunstwerk über-
haupt da sei. Ein Bild, auf dem nicht in Dank-
barkeit entzückte Augen ruhen, existiert gleich-
sam nicht. Dies wird jeder begreifen, der etwa
an Lionardos Mona Lisa denkt. Seit sie aus
dem Louvre entwendet worden ist, hat sie
gleichsam ihre Realität eingebüßt. Es ist so
ßut, als sei sie verbrannt, wie Tizians Petrus
Martyr, und friste ihr Dasein bloß noch in Ko-
pien und Reproduktionen. Und sie wird erst

wieder zum Leben erstehen, wenn sie eines
Tages plötzlich wieder auftaucht und, aus ihrer
Verborgenheit gezogen, den Blicken der Ge-
nießer und Bewunderer zurückgeschenkt wird.

So ist also das Kunstwerk durchaus abhängig
von den Menschen, aus deren Phantasie und
Herzen es wiedergeboren wird. Ohne sie ist
es ein totes Stück Leinwand, oder Stein, oder
Holz, das gar keine Bedeutung in sich selber
hat. Für stumpfe Augen, sei es barbarischer
Menschen oder unschuldiger Tiere, ist es ein
sinnloser Gegenstand ohne Wert; würdig, zer-
stört oder beschmutzt zu werden, ohne daß in
der Seele etwas sich regt. Wo aber der Mensch
hinzutritt, der das Kunstwerk in sich aufzu-
nehmen vermag, da strahlt es eine wundersame
Lebenskraft aus und hebt an zu leuchten, als
eine Offenbarung des göttlichen Geistes. So
empfängt es sein Leben von dem Menschen,
dem es seinerseits im Innersten eine Fackel
anzündet. Diese Wechselwirksamkeit ist für
das Kunstwerk unerläßlich. Nur auf diesem
Wege entsteht die Himmelsgabe der Kunst.

Darum vermag denn auch nur dasjenige Volk
Kunst zu besitzen, das außer den schaffenden
Künstlern auch ein mitschaffendes Publikum

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