Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

DOI article:
Osborn, Max: Neue Hoffnungen Deutscher Kultur und Kunst
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0015
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
neue Keime angepflanzt. Eine große Reinigung ward vorgenommen, alles neu
auf seine handwerkliche Grundlage gestellt und so in seinen Geseßen neu
gefestigt. Was hier geschaffen wurde, gibt auch heute noch das rechte Fun-
dament zur gedeihlichen Weiterarbeit, wenn uns die Wohltat des Friedens
zurückgeschenkt sein wird!

Denn - und hier sind wir gleich bei dem zweiten Punkte, der eindringliche
Berücksichtigung verdient — diese Bestrebungen bauten sich ja zum größten Teil
bereits auf der nationalen Grundlage auf, die uns jeßt als unerläßlich erscheint.
Man darf getrost sagen: bis auf ein paar Nebenerscheinungen trug das, was
man unter „moderner" Baukunst, Innenarchitektur, Dekoration und kunstgewerb-
licher Reform verstand, nach Geist und Wesen den Stempel des Eignen, des
Einheimischen, des Deutschen. Die ausländischen Anregungen, die im Anfang
der Bewegung eine so große Rolle spielten, waren verarbeitet und verdaut. Selbst-
verständlich blieben Verbindungsfäden zu den übrigen europäischen Ländern be-
stehen; aber in der Hauptsache war auf diesem gesamten großen Gebiete ein Stil
erreicht, der ein spezifisch deutsches, ja in verschiedenen Gegenden sogar ein
charakteristisch landschaftliches Gepräge zur Schau trug. Die neuzeitliche Be-
wegung hatte, durchaus im Geiste der Zeit und des Landes, aus Zweck und
Material, mit einer schöpferischen Phantasie der Logik neue Prinzipien aufgestellt,
die ganz Eigentum der Gegenwart und unseres Geschlechts waren, hatte
zugleich sogar schon den Anschluß an die bodenständige Tradition gefunden, deren
jedes Kunsthandwerk bedarf. Kurz: alles das, wofür die „Deutsche Kunst und
Dekoration" seit länger als anderthalb Jahrzehnt in unablässigem Wirken einge-
treten ist, führte leßten Endes auf die nationale Kunststraße, die nach dem
Kriege als der natürliche Weg betrachtet werden wird.

Die großen, klaren, einfachen Linien, die nun Leben und Empfinden beherrschen,
werden auch in der Kunst gesucht werden. Spielerisches, Hyperfeinsinniges und
Weichliches werden schwinden und abfallen wie Zunder. Man wird, in den ange-
wandten wie in den freien Künsten, volkstümlichen Vorstellungen einen breiteren Raum
gewähren, und das ist gut und gesund. Man wird stärker die Notwendigkeit fühlen,
die Kluft aus der Welt zu schaffen, die sich vielfach zwischen der Kunst und der
Allgemeinheit, auch der Gebildeten, aufgetan hatte. Man wird spintisierenden Ex-
perimenten keine übertriebene Bedeutung mehr beilegen, sondern sie mehr als Mittel
der Übung und Klärung künstlerischer Formvorstellungen ansehen, ohne in dem
Mittel gleich auch einen Zweck zu erblicken. Wir werden auch in der freien Kunst
der Malerei uns bemühen, ebendahin zu gelangen, wohin die Baukunst und das
Kunstgewerbe gelangten: uns mit den Anregungen, die von außen kamen und
kommen, zu durchtränken, um dann, so gerüstet, durch ernste Arbeit ganz von
selbst eine Ausdrucksform zu erreichen, die wir als deutsch empfinden,
und in diesem Bestreben alle die nachdrücklich zu fördern und zu stüßen, die in ehr-
lichem Ringen und mit Begabung sich vorwärts mühen.
 
Annotationen