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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Osborn, Max: Neue Hoffnungen Deutscher Kultur und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0014

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wäre ohne die staunenswerten Voraussetjungen des abgelaufenen Menschenalters. Was
unser wundervolles Volksheer jetjt leistet, was die Nation als Gesamtheit schafft,
ist der beste und höchste Ausdruck des rastlosen Wirkens im Dienste zivili-
satorischer und kultureller Ideen, dem Deutschland sich Jahrzehnte lang
hingab! Der Boden, den wir mit eiserner Selbstzucht, unerbittlichem Pflicht-
bewußtsein, zäher Energie und nie erschlaffender Kräfteanspannung bestellten, trägt nun
Früchte von beispielloser Herrlichkeit. Wir alle haben dazu mitgewirkt, wir dürfen
es stolz bekennen, jeder darf sich ein winzig Teilchen des Verdienstes zuschreiben!

Jeder - ? Nun, ganz wörtlich ist das wohl nicht zu verstehen. Es gab auch
hindernde Elemente unter uns, es hatten sich, neben den fabelhaften positiven Kultur-
resultaten, Anfänge einer Überkultur, einer Überfeinerung und Überspit3ung eingestellt,
die bedenklich stimmten. Vielleicht hat gerade das offene Eingeständnis dieses Zustandes,
den wir heilen wollten, indem wir ihn rücksichtslos aufdeckten, dazu geführt, daß
unsere Feinde in Europa den Schlag gegen uns wagten — in der Meinung, den Söhnen
und Enkeln der Männer von 1870 sei die eherne Stärke ihrer Väter verloren ge-
gangen, sie würden dem Anprall von allen Seiten nicht widerstehen können. Zu
ihrem Entsetjen sehen die Gegner jetjt, wie verhängnisvoll sie sich getäuscht, wie wenig
das Bild von Deutschland, das sie sich machten, dem wirklichen Bilde ähnelte. Wir
aber erkennen, wieder zu freudiger Überraschung, daß jene Schäden sich noch nicht
so tief eingefressen hatten, wie wir anzunehmen geneigt waren, dafj sie doch nur
die äußere Hülle betrafen, ohne in den Kern unseres nationalen Wesens einzudringen.

Umso leichter werden wir sie abstreifen und fortwerfen können. Und wie die
häßliche Üppigkeit, die kleine Ichsucht, die Genußgier, die schon ihre Herrschaft
aufrichten wollten, im Bogen dahinsausten, als der Ruf der Allgemeinheit ertönte, so
wird sich auch das überspannte Artistentum in den Orkus versenken lassen, das
die besten Extrakte unserer Kulturbemühungen: unsere Kunstarbeit, umwucherte.
Wie dort wird auch hier, in engerem Bezirk, eine Gesundung und Kräftigung auf
der ganzen Linie heranreifen! Die großen Umrisse des neuen Lebens
werden auch in der Kunst Ausdruck und Spiegelung suchen. Und das natio-
nale Selbstbewußtsein, zu dem wir aufs neue erwacht sind, wird seine Forde-
rungen an Kunst und Kunstgewerbe stellen!

Aber zweierlei ist nun wohl zu beachten. Einmal dies: daß es hier keineswegs
einer „Umkehr" bedarf. Davon kann keine Rede sein. Die Dinge liegen ganz
anders als nach 1870. Damals steckten wir völlig in einem verwaschenen, un-
selbständigen und ratlosen Eklektizismus, der allen Geschmack zertrümmert hatte.
Wir trieben weiter im Kielwasser derselben blassen Konvention wie vorher. Bis
ums Jahr 1890 der Sturm einseßte, der, wie in der Dichtung, so auch in den
bildenden Künsten aller Reviere langsam den Boden neu befruchtete. Das ist nun
ein rundes Vierteljahrhundert her, und mit der unermüdlichen Arbeitskraft, die wir
in der Entfaltung unserer Industrie, unseres Handels, unserer Technik, im Ausbau
unserer Wehrmacht an den Tag legten, haben wir auch in den Künsten fruchtbare
 
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