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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 40.1917

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B., R.: Zarte Dosen, zarte Teller
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https://doi.org/10.11588/diglit.8539#0333
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PORZELLAN-MANUFAKTUR—BERLIN.

»PORZELLAN-PLASTIK« VON ROHRIG.

ZARTE DOSEN, ZARTE TELLER.

Kleine Blüten, kleine Blätter".....Durch
die zärtlichen Verse des jungen Goethe
rankt sich eine verspätete Rokokostimmung.
Von ihrer Art sind die Empfindungen, die der
moderne Mensch beim Anschauen und noch
mehr beim Abtasten von Porzellan erlebt.
Selbst das schlichte Gebrauchsporzellan weckt
solche Erinnerungen und gibt den Nerven ein
seltsames, in die Vergangenheit schweifendes
Gefühl. Zunächst glaubt man kaum, daß diese
zerbrechlichen u. klangvollen Dinge der rauhen
Wirklichkeit zugehören, man glaubt es umso
weniger, je mehr sie dem Bereich des Nützlichen
entrückt sind und sichtlich nur dem Scherzo
der Muße gefällig sein wollen. Das Porzellan
gehört zu der Maskerade, deren wir zu benötigen
scheinen, um uns über die kalte Logik unserer
technischen Gegenwart hinwegzutäuschen. Wo-
bei wir keineswegs vergessen, daß erst die ent-
wickelte Technik das Porzellan zu einem all-
gemeinen Gut, zu einem Objekt des Fabrika-
tionsbetriebes und so zu einem populären Ver-

gnügen gemacht hat. In diesem Widerspruch,
daß mit Maschinen und mit Chemie etwas zu-
standekommt, was zu dem Zartesten gehört,
was die Menschheit überhaupt bisher hervor-
zubringen vermochte, zwinkert sozusagen noch
ein besonderer ironischer Reiz, den alles por-
zellanene Kleingerät, kleineVasen, kleineDosen,
Tierpüppchen und Menschenfigürlein, auf uns
ausübt. Das Porzellan belächelt unsere Weis-
heit und unsere schreckliche Reife. Das Por-
zellan ist so uralt und es weiß soviel von China
und von Europas Armseligkeit, daß die Jüngsten
dieser gewappneten und furchtbar klugen Rasse
immer erröten müssen, wenn sie den Enkeln
jener seltenen Schätze begegnen, nach denen
einst die holländischen Seefahrer ihre Segel-
schiffe über das weite Weltmeer schickten und
um deren Einbürgerung Kurfürsten und Könige
sich am liebsten mit Krieg überzogen hätten.
* * »

Das Porzellan gehört zu den Erscheinungen,
die den Hochmut des Europäers beschämen.

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XX. August 1917. 6
 
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