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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Volbehr, Theodor: "Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgepasst das Neue"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0046
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PROFESSOR JOSEF WACKERLE. »DEKORATIVE FÜLLUNG IN STUCK«

„ÄLTESTES BEWAHRT MIT TREUE, FREUNDLICH AUFGEFASST DAS NEUE".

VON THEODOR VOLBEHR—MAGDEBURG.

Es war vorauszusehen, daß inmitten des ge-
waltigsten und brutalsten aller Kriege
auch der „Kampf um die Kunst" brutalere
Formen annehmen würde. Aber man ist doch
überrascht, wenn man sieht, bis zu welcher
Leidenschaft der wetternde Zorn zwischen dem
rechten und dem linken Flügel der Künstler
und Kunstfreunde angewachsen ist. Vor mir
liegen zwei Äußerungen, die es verdienen als
Dokumente dieser besonderen Abart der Kriegs-
psychose festgehalten zu werden. Die eine,
aus dem Lager der Rechten, lautet: „Man muß
das tiefste Bedauern empfinden mit den Armen,
die derartige Kunstwerke (gemeint sind die
Arbeiten der Expressionisten, Futuristen und
Kubisten) herstellen und in Aufrufen, Zeit-
schriften, Büchern darüber predigen . . Solcher
Dreck wurde nicht nur in den angesehensten
Kunsthandlungen ausgestellt, er hatte seine
große Gemeinde unter Künstlern, Gelehrten,
reichen Mäzenen. Man brauchte kein Pro-
phet zu sein, um bei diesen Zeichen der
Zeit ein Weltgericht von nie erhörter
Schwere vor auszusagen." Momme Nissen,
der treffliche Maler und Schriftsteller, hat diese
Worte in seiner Broschüre „Der Krieg und die
deutsche Kunst" geschrieben.

Die andere Äußerung aber — aus dem Lager
der Linken — lautet: „Der Krieg hat uns, die
wir 26 Monate draußen standen, den Respekt
genommen, den Respekt vor dem Alten . . .
Jetzt können wir ehrlich sein, auch genieren
wir uns nicht mehr: das Alte war oft nur ein
Ballast. Der Krieg mußte kommen, daß
wir ihn abzuwerfen wagten. Tausende von
alten Buden hat der Krieg umgeblasen, und ehr-

fürchtig behütetes altes Gerät, das von Urgroß-
mutter geerbt war, liegt unter ihm in Scherben.
Trauert ihr ihm allzulange nach, so zeigt ihr,
daß dieses ewige Sammeln und Aufstapeln,
dieses ängstliche Bewahren und Erhalten eure
Seelen klein gemacht hat. Und sie sollten doch
jetzt, gerade jetzt, der größten Leidenschaft
fähig sein. Macht euch frei, werft den alten
Plunder weg! Reißt ein, damit das Alte euch
nicht Luft und Sicht versperrt!" Diese Worte
stehen in Friedrich Naumanns trefflicher „Hilfe ".
Unterzeichnet sind sie merkwürdiger Weise mit
einem pietätvoll aus einer verstorbenen Sprache
herübergeretteten Worte: „Miles".

Unzweifelhaft handelt es sich in beiden Fällen
um Aussprüche ernst zu nehmender, künstle-
risch gebildeter Männer. Und sie würden sicher
Beide unwillige Gesichter machen, wenn man
ihreWorte als Äußerungen eines wahrhaften Bar-
barentums charakterisieren wollte. Aber gibt
es eine Möglichkeit, sie anders einzuschätzen?

Momme Nissen läßt den Weltkrieg das selbst-
verständliche Weltgericht über Richtungen der
neuesten Kunst sein, die ihm unerfreulich sind,
erhofft also vom Kriege ihre Vernichtung. Miles
hält den Weltkrieg für den Erlöser von den Ban-
den der Pietät, freut sich, daß der Krieg — wie
er glaubt — den Respekt vor dem Alten bereits
vernichtet habe! — Hamann, der Freund Herders
und Goethes, der rücksichtslos genug war, den
Ästhetikern des 18. Jahrhunderts die Grobheit
an den Kopf zu werfen, sie stellten der Kunst
als Meuchelmörder nach, weil sie aus dem
künstlerischen Schaffen die Willkür verbannen
wollten, der würde wohl von Momme Nissens
Ausspruch gesagt haben, daß hier ein Ver-
 
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