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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Duve, Helmuth: Auguste Rodin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0343

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AUGUSTE RODIN f

Triumphierend über Welt und Zeit, hob der
Tod wieder den Stab und — ließ ihn lang-
sam sinken. Schweigend folgte ein Titane ihm
ins Schattenreich, ein Schöpfer ohne Seele . . .
denn die hatte er restlos dem Werke einge-
haucht, das er als unvergängliches Denkmal
seines Wesens der Menschheit hinterließ. Die
Unendlichkeit hielt den Atem an und lauschte
.... nur einen Augenblick .... dem letzten
Hauche dieses Titanen. Dann barg sie, mütter-
lich behutsam, seine sterblichen Überreste in

ihren Schoß.....

Auguste Rodin, der rastlos schaffende Greis,
starb. Wir Deutschen wollen vergessen, daß
der Mensch Rodin, in Gemeinschaft mit anderen
ausländischen Künstlern, gegen unser Volk den
Vorwurf der Barbarei erhob, wir hätten in bös-
williger Absicht die Kathedrale von Reims be-
schossen. Diese gehässige Anklage zu vergessen
aber wird uns um so leichter werden, als sie
von der Wahrheit längst entkräftet wurde und
auf das Volk, dem die Kläger angehören,
zurückgefallen ist.

Damit hat der Künstler Rodin nichts zu tun;
ihm gilt nicht nur unsere Liebe, auch unsere
Ehrfurcht. Erschließt doch sein Schaffensgeist
noch einmal wieder die tiefen Quellen des
Schauens, Erfassens und Gestaltens, durch die
Frankreichs bildende Kunst dereinst bahnbre-
chend den Künstlern Europas einen neuen Weg
wies. Das Visionäre des Impressionismus, aus
dem seine Anschauung erwächst, ist erfüllt von
musikalischer Energie, die sich in ureigenen
Schöpfungen plastisch statuiert. Unter der Hand
des Meisters beseelen sich die Steine; Kräfte
erwachsen und durchdringen die Form, gestal-
ten ein lebendiges Spiel der Muskeln in Melo-
dien, vom zartesten Hauch zum Orkan gestei-
gert . . . potenziert bis ins Wesenlose. Rodins
Kunst (in ihrer Intensität der Beethovens am
besten vergleichbar) wurzelt wie alle höchste
Kunst im Unendlichen. Eine Fülle von Melo-
dien erwuchsen seiner Seele. In sich selbst
hineinlauschend wie die Natur, stand Rodin
urplötzlich vereinsamt dieser gegenüber, in der
Stunde, als er zu sich selbst kam. Nun erst
folgte der äußeren die mächtigste, innere Nö-
tigung zum Schaffen. Nichts anderes als der
unwiderstehliche Trieb der Natur selbst . . . .
über sich hinaus .... sich neu zu erschaffen,
war es, was bei Rodin nach außen drängte und
Gestalt gewinnen mußte. In unermüdlicher
selbstsicherer Arbeit verschmolzen Wollen und

Können des Künstlers völlig. Weg und Ziel
wurden gleich. Und das Auge vermittelte
ständig neue Beziehungen zwischen den Flächen,
die den Körper umkleiden, den Lichtern, die
sich dort begegnen, hier sehnsüchtig ineinander
rinnend, dort feindlich sich abstoßend oder
gleichgültig aneinander vorbeigleitend, und den
Schatten, die von dämonischen Geheimnissen
flüstern. Konturen (im streng akademischen
Sinne) haben Rodins Gestalten nicht; sie sind
aufgelöst im Sphärischen, wodurch eine kos-
mische Verwandtschaft zwischen dem Kunst-
werk und seiner Umgebung, der Natur, sich
ausspricht. Unaufhörliche Arbeit an sich sowie
an den technischen Problemen hatte die Frei-
zeit seiner jungen Jahre ausgefüllt — soweit
die Beschäftigung an der Manufaktur von Sevres
ihm jene gewährte —; die Nächte halfen aus.
Dabei beherrschte den Künstler eine glückliche,
im Selbstgefühl wurzelnde Ruhe, eine natur-
verwandte Gütigkeit, die sich dem Kleinsten
wie dem Größten gleich liebevoll zuwandte.
So war es möglich, daß er in den modellierten
Händen etwas Vollendetes, weit über den Rah-
men einer „Studie" Hinausgehendes, eben etwas
in sich Abgeschlossenes geben konnte; wie
auch die Torsos („Grand Torse", „Studie zu
Victor Hugo", „Torse de femme", „L'homme
qui marche") in ihrer grandiosen Vollendung
alles Fragmentarische abstreifen. Während der
Hauptentwicklungsperiode, die vom „homme
au nez casse" vielleicht bis zum „homme des
Premiers temps" reicht, sind Dantes Divina
comedia und Baudelaires Verse von großem
Einfluß auf ihn gewesen, allerdings wohl nur
insoweit, als sie die in ihm schlummernden
Mächte und Gestalten beschworen wieder zu
erwachen. Dantes Geist wird lebendig in den
„Bourgeois de Calais", die sich erbieten zu
sterben, um ihre Vaterstadt zu retten. Diese
geschichtliche Episode wird von Rodin ins Zeit-
lose, Allgemeingültige erhoben; schmerzlich
stumme Entschlossenheit dominiert unter den
vielen seelischen Regungen, die in den fünf
Gestalten Ausdruck gewinnen. In Gesichtern
und Gebärden spiegeln sich fünf verschiedene
Schicksale, auf denen eine unsichtbare Hand
furchtbar lastet. Was vermögen Worte von dem
zu deuten, was hier Ereignis wurde ? Machtlos
sind sie; denn sie geben nur die Schale statt
des Kerns. An den Porträtbüsten von Jean
Paul Laurens, Bernard Shaw, Dalou und der
Madame Rodin wird uns klar, wie alle Profil-
 
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