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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Duve, Helmuth: Auguste Rodin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0344

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Auguste Rodin f

möglichkeiten und sämtliche Umrisse des Kopfes
scharf ins Auge gefaßt und fixiert werden, und
wie sodann eine den darzustellenden Körper
liebevoll abtastende wunderbare Sensibilität
der Fingernerven die Struktur der Oberfläche
offenbart, die, vom Willen des Künstlers ver-
geistigt, in die weiche Modelliermasse hinein-
gefühlt wird, um endlich, von Lebensgeist ge-
sättigt, mittels Stein oder Bronze feste Gestalt
anzunehmen. Rodins Werke sind ausnahmslos
schöpferische Realitäten der Natur, mit denen
man rechnen muß, ob man will oder nicht. Nur
Wesentliches kommt in ihnen zum Ausdruck,
restlos in der unvergleichlichen Balzac-Statue.
Rilke, der als Rodins Sekretär den Quellen
seines Schaffens jahrelang lauschen konnte,
spricht von dem „herausfordernden Schritt des
Balzac". In seinem Buche über Rodin (Insel-
verlag, Leipzig) gibt er eine unübertreffliche
Beschreibung der Balzacvision Rodins mit fol-
genden Worten: „Er sah eine breite, ausschrei-
tende Gestalt, die an des Mantels-Fall alle
Schwere verlor. Auf den starken Nacken
stemmte sich das Haar, und in das Haar zurück-
gelehnt, lag ein Gesicht, schauend im Rausche
des Schauens, schäumend von Schaffen: das
Gesicht eines Elementes. Das war Balzac in
der Fruchtbarkeit seines Überflusses, der Grün-
der von Generationen, der Verschwender von
Schicksalen. Das war der, der durch sagenhafte
Silberminen reich werden wollte und glücklich
durch eine Fremde. Das war das Schaffen
selbst, das sich der Form Balzacs bediente, um
zu erscheinen; des Schaffens Überhebung, Hoch-
mut, Taumel und Trunkenheit." — Und wenn
wir uns von der Statue des Balzac zu der Victor
Hugos wenden, so stehen wir auch hier völlig
im Banne der Persönlichkeit, einer unaussprech-
lichen geistigen Unnahbarkeit. „La Pensee",
der durch einen Kopf personifizierte „ Gedanke ",
erhebt sich in wundervoll organisierten Flächen
des Gesichtes — ahnungsvoll beschattet —
aus dem Chaos des unbehauenen Blockes und
tritt in Gegensatz zu diesem. Unnahbar, jen-
seits von Gut und Böse, spiegelt sich die Klar-
heit des menschlichen Gedankens in diesen
ebenmäßigen Gesichtszügen wider.

Erinnern wir uns auch der aus dem Paradies
vertriebenen, all den Schmerz einer Mutter in
sich bergenden Eva („Eve") oder des „Adam",
auf dessen Schulter und Nacken der unsichtbare
Fluch derVerbannung lastet, eine müdeSchwere,
der sich die übermenschlich gestrafften Muskeln
zähe, schier verzweifelnd entgegenstemmen!
Wie mächtig verkörpert sich in diesen beiden
Statuen des Menschen Geschick! Auch in der
Erdgebundenheit der „Danai'de" kommt es zum

Ausdruck: schmerzliche Hoffnungslosigkeit, die
sich dem allumfassenden gütigen Schoß der Erde
ergeben anvertraut. Die wundervoll weichen
Linien dieses Körpers rufen Melodien aus der
Sonate pathetique wach. Leidenschaftlich sich
auflehnend gegen Resignation gestaltet Rodin
die Sehnsucht nach Harmonie zwischen Frage
und Antwort in „ le Baiser ", wo die Gebärde des
seligen Verschmelzens von Mann und Weib ihr
Erfüllung verheißt. Hier sowie in der Gruppe
„Faune et Nymphe", die ein leichtfüßigerer
Rhythmus beschwingt, ist Lebensbejahung.
Während die Nymphe, sinnlich trunkenen Träu-
men hingegeben, in den Armen des lüsternen
Faun liegt, von der Erwartung fast schon
des letzten Widerstrebens beraubt, nähern sich
dort zwei nahe verwandte Seelen, Mann und
Weib, im Bewußtsein zusammenzugehören und
willens, völlig ineinander aufzugehen. Mann
und Weib, Frage und Antwort, zwei Töne, die
sich suchen und finden, die .... fernab von
Welt und Zeit .... in einem Ewigkeitsakkord
verklingen. „Alles Vergängliche ist nur ein
Gleichnis."--—

Was hier von Bildwerken Rodins aufgeführt
wurde, ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem
kaum übersehbaren Gesamtwerk des Meisters.
Ein organisches Ganze stellt seinWerk dar: eine
gewaltige Schöpfung aus dem Unerschöpflichen
des Lebens. Die rastlose Tätigkeit seines tasten-
den Auges und seiner sicheren Hand, die selbst
das Kleinste und Geringste der Nachbildung wert
erachtete, hat ihn frei gemacht von Vorurteilen
und unabhängig von der Kritik. Ein so unbe-
dingtes Selbstvertrauen war ihm eigen, daß er
sich nicht irre machen ließ von der Masse, die
ihn erst nicht beachtete, dann heftig bekämpfte
und zuletzt marktschreierisch rühmte, ohne je
seines Wesens einen Hauch verspürt zu haben.
Er blieb immer er selbst; denn in ihm war die
Erkenntnis Lenaus lebendig: „Lob schläfert ein,
Tadel erbittert. Der beste Freund ist das Ge-
wissen. " Ja, sein Gewissen blieb ihm treu bis
an sein Lebensende. —

Wie hat er gearbeitet! Rastlos und dennoch
ruhig. Arbeiten und glücklich sein war für ihn
gleichbedeutend. So erzählt Rilke in seinem
unübertrefflichen Buch, daß er jeden, den er
begrüßte, gefragt habe: „Avez-vous bien tra-
vaille?" Eine bejahende Antwort überzeugte
ihn vom besten Wohlergehen des Anderen.

Das bezeichnet den Kern seiner Weltanschau-
ung. Rodins Dasein war Arbeit ad infinitum; in
ihm offenbart die Natur uns jenes tiefeGeheimnis,
die Sehnsucht nach Freiheit und Glück im Leben
zu stillen. In der Arbeit ist damit für uns ein un-
schätzbarer Wert gewonnen. . . helmuth duvk.
 
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