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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Ketzereien über Malerei: worte zur Anregung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0281
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Ketzereien über Malerei.

VERNA ÄKERSBERG—MÜNCHEN.

STEINMOSAIK «VÖGELc

eine häßliche Frau gewöhnt, er schaut sie nicht
an, er sieht sie einfach nicht. Der unangenehme
Eindruck istin diesem Fallefreilichabgeschüttelt,
aber wenn man sie nicht sieht, nicht mit Ver-
gnügen immer wieder betrachtet, — wozu sind
die Bilder dann eigentlich da?

In den Zeiten antiker harmonischer Kunst-
entfaltung scheint das Tafelbild als Selbstzweck
wenig bekannt gewesen zu sein. Je nach Be-
stimmung der verschiedenen Gemächer eines
Hauses wurden sie mit Wandmalereien zierlich
oder großartig geschmückt. Farben und Formen
mußten übereinstimmen wie eine Musik. Diese
klassische Tradition ward von den Malern der
Renaissance wieder aufgenommen. Weltliche
wie geistliche große Herren ließen in diesem
Sinn ihre Säle und Zimmer schmücken. Wenn
wir Italien besuchten, so dachten wir meistens
nur an den eigentümlichen Wert derbetreffenden
Gemälde und ließen den schön erreichten de-
korativen Zweck außer Auge. Abgestumpft
durch unsere gedankenlose Art, Staffeleibilder
zu hängen, hatten wir wenig Sinn für den feinen,
edlen Rhythmus der tiefdurchdachten Schmuck-

malerei und ihrer Raumeinteilung wie Farben-
gebung und man empfand nur selten, wie herrlich
Stoff- und Darstellungsweise sich verbinden,
durchdringen und vollenden.

Man versäumte bis vor kurzem, mitBewußtsein
sich daran zu erfreuen, wie abgewogen Wert ge-
gen Wert hier spielt, wie ein vollkommener Rei-
gen von Empfindungen beruhigend erfreulicher
Art ausgelöst werden soll durch jene Figuren,
Ornamente, Blumen, Tiere, die Wand undDecke
beleben. Es entging Kunsfgelehrten und Laien,
wie tief berechtigt dort die lebensbunte Malerei
ist und hier, in jenen Medaillons oder Friesen,
die Ton in Ton mit weiser Sparsamkeit gehaltene
Zeichnung. Wie gut mußten die humanistisch
gebildeten grands seigneurs in diese Umgebung
passen, in der Stoffe aus dem Altertum immer
neu belebt sie anregend und anheimelnd grüßten,
meist als Zyklus gedacht, um einen harmonischen
Ring der Darstellung zu bilden.

Da nun die Bauherren der Gegenwart mit jenen
Humanisten wenig gemeinsam haben, würde in
den meisten Fällen derartige Dekorationskunst
— auch von den geschicktesten Meistern aus-
 
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