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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Niebelschütz, Ernst von: Porträt und Ähnlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0318
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PROFESSOR KARL HOFER—BERLIN,

»DER GEFANGENE« museum wintbrthur.

PORTRÄT UND ÄHNLICHKEIT.

VON ERNST V. NIEBELSCHÜTZ-MAGDEBURG.

Das Verhältnis zwischen Porträt und Modell
ist je nach der herrschenden Weltanschau-
ung verschieden gewesen. Zwischen den beiden
Polen äußerster Naturferne und peinlichster
Sachlichkeit hat das Porträt wohl alle Stadien
der Wechselwirkung durchlaufen, ohne daß der
kritische Verstand bestimmen könnte, welches
Mindestmaß von Ähnlichkeit vom Bildnis zu
fordern sei. Die Tatsache aber, daß es Zeiten
mit einer beneidenswert hohen Kunststufe ge-
geben hat, wo der Abstand zwischen ihm und
dem Modell so groß war, daß man von Porträt
im strengen Sinn kaum mehr sprechen kann,
weist uns darauf hin, daß die Ähnlichkeit, diese
herrische Laienforderung, als Kriterium für den
Kunstwert überhaupt ausschaltet; und wenn
dem Auftraggeber schließlich dasRecht nicht be-
stritten werden kann sie zu verlangen — keines-
falls kann er sich dabei auf ein ästhetisches
Gesetz berufen. Denn ganz abgesehen davon,
daß sie ein sehr ephemerer, dem Vergänglichen
innewohnender Wert ist — sie bezieht sich auf
ein Objekt der bloßen Vorstellung, vereinigt
Physisches und Geistiges, bleibt also stets eine
strittige Frage, die der Einzelne immer auf seine
besondere Weise beantworten wird.

Je summarischer das Denken, desto weniger
entwickelt war von je der Identitätssinn auch
in der Bildniskunst. Dem frühen Mittelalter
z. B. ist er nicht eigen. Selbst da wo unzweifel-
haft die Darstellung bestimmte Persönlichkeiten
meint, wie in den Kaiserbildnissen, lehrt der
Vergleich, daß Porträtähnlichkeit auch im be-
scheidensten Sinn nicht angestrebt war. Eben-
so verfehlt wäre es ein Werk der Großkunst,
etwa das Reiterstandbild Ottos des Großen in
Magdeburg, als historisches Dokument an-
sprechen zu wollen. Nicht Individualisierung
war das Ziel, sondern Typisierung. Was ge-
fordert wurde, war die künstlerische Objektiva-
tion der mythologischen Vorstellung, die sich
in dem ganz unrationalistischen Denken jener
Zeit mit der Idee höchster menschlicher Würde
und Machtvollkommenheit verband.

Mit dem Fallen der konventionellen Schran-
ken stellt sich auch die Bildniskunst andere
Aufgaben — das Porträt wird zur geschicht-
lichen Urkunde. Ja gerade ihm als dem Brenn-
punkt des neuen naturalistischen Kunstwollens
gehört das Interesse in erhöhtem Maße — keines-
wegs ohne gelegentlichen Rückfall in die hero-
isierende Auffassungsweise, deren erlauchteste

XXIV. Mürz 1921. 2
 
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