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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Niebelschütz, Ernst von: Porträt und Ähnlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0319

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Porträt und Ähnlichkeit.

Vertreter in der neueren Kunst Michelangelos
Mediceerstatuen sind. Doch der Drang zur
Natur ist stärker als der zum Typus. Wie weit
der Künstler hier gehen darf, ohne einem glatten
Realismus anheim zu fallen, ist eine Frage des
künstlerischen Taktes. Kein Zweifel, daß damit
dem Stile eine Gefahr drohte. Sie kam von
der Seite des Stofflich-Reizvollen. Was für
eine Verwirrung im ästhetischen Denken hat
nicht allein der „interessante Charakterkopf"
angerichtet, und wie viele unterliegen noch
heute der Versuchung in der „sprechenden "Ähn-
lichkeit das Wesentliche des Porträts zu sehen.
Schopenhauer hat bekanntlich das Sich-Verlie-
ren des Ich im Gegenstand als das erste ästhe-
tische Gebot aufgestellt. Töricht zu glauben,
daß damit die Abdankung des Ich vollzogen
sei und nur noch das Objekt zu reden habe.
Irgendwo muß das Ich doch bleiben, und wenn
es sich hundertmal „verliert". Wo anders aber
kann es geblieben sein als eben im Gegenstand,
mit dem es sich identifiziert hat? Die Natur ist
doch nur die eine Komponente des Kunst-
werks; die andere ist jenes aktive, das Objekt
wie ein Sauerteig durchdringende Ich, — ja bei
ihm liegt letzten Endes die Entscheidung. Denn
Kunst entsteht erst durch Unterwerfung der
Natur unter den Willen des Subjekts, das als

das formale Prinzip stärker ist als sie. Das
wird der Realist nie begreifen. Darum wurde
es um Rembrandt, den Bildnismaler, zuletzt so
einsam — umso einsamer, zu je größeren in-
neren Dimensionen sich seine Kunst auswuchs.
Die Amsterdamer Parvenüs wußten schon,
warum sie von ihm zu dem biederen Bartholo-
meus van der Heist überliefen. Die Ähnlichkeit,
die dieser ihnen verhieß, lockte sie mehr als
die großartig vergewaltigende Art des Genius.
In der Tat — Rembrandt erlebte in seinen letz-
ten Bildnissen eigentlich nur noch sich selber.
Nicht die Menschen fesseln uns auf jenem fabel-
haften Braunschweiger Familienbild, sondern
was Rembrandt unbewußt aus ihnen gemacht
hat — Organe seiner eigenen Sehnsucht, seiner
letzten Ahnungen und Erkenntnisse. Wie un-
geheuer anregend wirkt doch noch heute dieses
Bild! In ihm lebt die ganze zeitlose Mystik,
die alles im Tiefsten Menschliche mit der
Atmosphäre des Wunders umgibt: des Wunders
der allesUnzulängliche zum Ereignis verwandeln-
den Kunst. In ihm wächst das Porträt weit über
seine eigene Begriffsgrenzen hinaus. Es wird —
und jedes wahre Werk der Bildniskunst sollte es
sein — zur Selbstdarstellung dessen, der es schuf
— im ehrlichenGlauben damit nureinerfremden
Individualität Gestalt gegeben zu haben, e. v. n.

KARL HOFER. >STILLEBEN« genehmig, p. cassirer.
 
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