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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Wichert, Fritz: Der rote Frosch: Ein Schnörkel
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0301

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DER ROTE FROSCH.

EIN SCHNÖRKEL VON F. WICHERT.

Der Schnörkel zeigt den Pegelstand unserer
Kräfte an, Denn vielfach ist er nichts anderes
als die beiläufige Gestaltung des Überschusses.

Wer in die Breite wirken will, muß etwas
von sich geben, das Münze wird und aus
einer Hand in die andere gleitet. Geschieht das
nicht, so ist der Kräfteverschleiß zu groß. Man
muß Geschichten erfinden, die von Mund zu
Mund wandern, Überzeugungsformeln, aus de-
nen den Menschen unvermutet eine Wahrheit
entgegenspringt, Vergleiche und Sinnbilder, die
sich einbrennen.

Dem Kunstausdeuter sei — zur Vervollstän-
digung des Schlüsselbundes, mit dem er Bilder
und Menschen aufzuschließen sich vornimmt —
die Geschichte vom roten Frosch erzählt.
Man verbringt Ferientage bei einem gleichalt-
rigen Freunde auf einem Gut. Zur Belebung
der Unterhaltung dienen graphische Blätter —
Zeichnungen, Holzschnitte, Radierungen neuerer
Meister. In der Gesellschaft mitsamt dem
Freundemachen sichlebhafte Widerstände gegen
das „Neue" geltend. Es muß gehörig gearbeitet
werden. Wirkliche Bekehrung tritt nicht ein.

Vorm Schlafengehen: die Gutsherrin, Schwie-
germutter des Freundes, entläßt ihre Gäste.
Den Vorkämpfer der neuen Kunst aber nimmt
sie freundlich bei Seite. „Sehen Sie mal, lieber
Doktor! Was Sie da sagen, ist ja alles ganz

schön, aber die Dinge, zu denen Sie es sagen,
auf die es gemünzt ist, werden dadurch nicht
anders und — ich kann mir nicht helfen — die
finde ich nach wie vor scheußlich I" — „Ja,
aber..." — „Nein, wirklich. Ich kann da nicht
mit. Für mich bleibt die Welt nun einmal, wie
sie ist. Und s o liebe ich sie. Bäume sind grün,
nicht blau, Wasser ist blau, nicht rot, Pferde
sind braun, schwarz oder gescheckt, aber jeden-
falls nicht blau; habe ich recht?" — „Ich weiß
nicht. Auf jeden Fall muß ich noch schnell die
Geschichte vom roten Frosch erzählen. Sie hat
schon manchem überzeugten Realisten zu den-
ken gegeben.

Also: Ein kleiner Junge hantiert mit einem
Rotstift. Seine Mutter kommt dazu und fragt
ihn, was er da treibe. „Mama, ich male einen
Frosch!" „Dummer Bub! Ein Frosch ist doch
nicht rot, der ist doch grün!" „Ja, Mama,
aber rot ist schöner!" Sagt es und malt mit
vor Lust gesträubten Haaren weiter an dem
roten Frosch.........

Üf Nun fragen wir: Wer hat das Recht, dem
Kinde die Freude an seinem Frosch zu ver-
derben, nur weil die Wissenschaft festgestellt
hat, daß gewisse Frösche grünlich sind? Kunst
hat doch mit der Tatsachenfeststellung nichts zu
tun, ist vornehmlich Sache des Gefühls und erst
 
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