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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Vom Künstler und der öffentlichen Meinung: Eine Randbemerkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0111

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VOM KÜNSTLER UND DER ÖFFENTLICHEN MEINUNG.

EINE RANDBEMERKUNG.

Die öffentliche Meinung ist eine unsichtbare,
ungreifbare Macht, sie entsteht und wirkt
rätselhaft, nichts widersteht ihr, nichts ist be-
weglicher, unstäter und dabei stärker. Obwohl
sie voll Launen steckt, benimmt sie sich doch
aufrichtig und urteilt oft gerechter, als man
leichthin glaubt.

Wer Anspruch macht, im künstlerischen oder
politischen, also überhauptimöffentlichenLeben
eine Rolle zu spielen, steht unter dem Bann
dieser geheimnisvollen Macht, denn sein Wirken
ist in der Gewalt jener unfaßbaren Stimmen,
die bloßstellen, verurteilen und vernichten
können, aber auch preisen und den höchsten
Triumph der Anerkennung verschaffen. Mit
der öffentlichen Meinung geht es wie mit der
Liebe; wer sie heiß umwirbt, umschmeichelt,
ihren Beifall begehrt, wird zurückgewiesen. Wer
ihr kühl, fast mit Verachtung gegenübertritt,
kann sich des Jubels und der Zustimmung oft
kaum erwehren.

Kein Staatsmann, aber auch kein Künstler
steht über dem „was man sagt", wenn er sich

auch noch so unabhängig fühlt und gebärdet.
Wer dies leugnet, beruft sich gern auf Goethe,
der einmal untersuchte, wer eigentlich die Leute
seien, auf deren Meinung so furchtbar viel
ankäme, und fand, daß es im Grund höchst
unbedeutende und geringe Menschen seien.
Trotzdem ist und bleibt aber die öffentliche
Meinung eine Gerichtsbarkeit, die sich nicht
zurückweisen läßt, wenn man sie auch niemals
vorbehaltlos annehmen darf.

In dieser Beziehung machte Frau von Stael
einen bezeichnenden Unterschied, sie schrieb
in „Delphine" : „Ein Mann darf der öffentlichen
Meinung Trotz bieten, eine Dame muß sich
derselben unterwerfen." Ich möchte dies Wort
der damaligen Bewertung der Geschlechter
entsprechend auf Kunst und Künstler also über-
tragen: „Das Genie mag machen, was es will,
das Talent muß sich dem Bild der Zeit einfügen,
soll sich also der öffentlichen Meinung unter-
werfen." Tiefer als Madame de Stael faßte
Marie von Ebner-Eschenbach die Bedeutung
fremden Urteils auf, wenn sie in den Aphorismen
 
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