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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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With, Karl: Über javanische Kunst
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Richter, Klaus: Nutzanwendung der Anatomie
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0213

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Über javanisclie Kunst.

gefleht — in tausend verschiedenen Formen
erscheinen und sich verkörpern, menschlich oder
tausendarmig — um den Menschen Trost und
Kraft zu gewähren, um sie zu festigen in aller
Mühsal und Versuchung des Lebens.

Wie gläubig schauen die beiden Frauen auf
dem Relieffragment vom Prambanan, ganz im
Vertrauen auf die große Wahrheit der Götter.
Diese Inbrunst der Andacht; das erdhafte Da-
sitzen, Händefalten, Aufschauen und Lauschen,
ergriffen und doch nicht überwältigt, selbstver-
loren und doch so selbstsicher.

Neben solche buddhistische Bildwerke treten
dann — erst vereinzelt, dann immer reichhal-
tiger — solche, die der brahmanischen Glau-
benswelt entstammen, ohne daß oftmals große
Verschiedenheiten in Erscheinung treten. So
bei der Figur vom Tjandi Banon, deren edle
Ruhe und geschmeidige Größe von der erhal-
tenden Weltumfassenheit des Brahma kündet.
Die Dreieinigkeit, in der alles Werden und Ver-
gehen zu einem Nichts wird, wo inmitten des
Wirbels der Welt die große Stille lagert, um

die alles kreist; eine Blüte des Chaos. Und
selten ist ein Bild dieser Art so still, rein und
vermenschlicht.

In späteren Jahrhunderten entstehen dann im
östlichen Java, zur Blütezeit der brahmanischen
Kunst, Bildwerke ganz anderer Stimmung. Vol-
ler Leidenschaft und Bewegtheit, Explosionen
voller Erdgewalt und Himmelsrausch. Phanta-
stisch und ungeheuerlich; wie Ungewitter und
voller Dämonie und erdrückend oft in ihrer
elementaren, überschäumenden Gewalt.

Hier aber ist alles gelöst. Ein Reich des
Friedens. Große Schwingungen und ruhige
Kreise. Eine leuchtende Stille über dieser Welt
des Wandels und der Schrecknisse. Und zu-
gleich der Widerschein und Lebensausdruck
eines in sich ruhenden, durchbluteten, lebens-
bewußten und freudigen Volkes voller Kraft,
Sanftmut und Reinheit.........

Die hier wiedergegebenen Abbildungen sind dem Werke
>Java, buddhistische, brahmanische und eigenlebige Plastik
und Architektur« mit 165 Abbildungen, von Karl With,
Folkwang-Verlag, Hagen i. W. 1920, entnommen.

NUTZANWENDUNG DER ANATOMIE.

VON KLAUS RICHTER.

Eine große Frage steht vor dem Anfang alles
künstlerischen Studiums: Nützt oder scha-
det das Wissen um den Zusammenhang der
ahnungsvollen Intensität der Erlebnisse?

Solange das Wissen nichts weiter bleibt wie
kühle Betrachtung, blutleere Reflektion oder
resigniertes Verstehen, solange Herz und Sinn
nicht freudig bejaht, bleibt die Erkenntnis
schattenhaft und farblos hinter dem bunten
Bilde des erfüllten Erlebens — hinkend und
hemmend — zurück. Wer aber con amore stu-
diert, sich's nicht mit dem Quod erat demon-
strandum genug sein läßt, wer das, was er er-
kannt hat, erlebt, was er weiß, mit seiner Seele
füllt, der hat jene lebendige Erkenntnis, in der
Subjekt und Objekt sich vermählen und Wissen
und Empfinden ihm wie die Harmonie zweier
Stimmen zu immer reineren Höhen reißen.

Nutz: Wissen ohne Empfinden ist halbe Er-
kenntnis. Reine Erkenntnis begreift und erlebt
ohne Bruch.

Wer glaubt, beim Studium der Anatomie die
Weisheit mit Löffeln zu fressen, der irrt! Wer
sich aus den konstruktiven Elementen der Ana-
tomie das Bild des Menschen baut, der irrt!
Wer sein anatomisches Wissen als Erlebnis
mißbraucht, der irrt! So leicht läßt sich die
Kunst, läßt sich nicht einmal das Können fassen.

Wie Jakob um Rahel kann man sieben Jahre
vergeblich den Schweiß des Dienstes um sie
verlieren. Sie bleibt wie eine Fata morgana in
unnahbarer Ferne, für die Energie abstrakten
Wissens und die Inbrunst der Gefühlsnaivität
gleich unerreichbar. Sie gibt sich nur dem zu
eigen, der alle Brunnen der Seele, alle Feuer-
garben des Geistes verschwenderisch springen
läßt, um ihr aus Form und Farbe jenen bunten
Regenbogen zu bauen, auf dem allein sie hernie-
dersteigt ins Arkadien der menschlichen Brust.

Nutz: Wissen und Fühlen, Erleben und Er-
kennen, Geist und Herz sind beim Studium der
Kunst gemeinsam vonnöten.

Gibt die Anatomie nur die Kontrolle, Über-
sicht und Anregung für Studium und Darstel-
lung, so ist sie am rechten Platz, an dem sie
wirken — und Wunder wirken — kann. Wem
die anatomische Erkenntnis aus der erlebten
Wiederkehr der Formen der Welt entstand,
wem die Vielgestaltigkeit der einzelnen Formen
zu eindeutigen Gliedern seiner anatomischen
Komplexe wurde, der gewinnt für alle Formen
der Welt ein ungleich feineres Verständnis, als
der, dem die Welt wie ein endloses, nie wieder-
kehrendes Band in alltägliche Einzelheiten zer-
flattert. AUS: »DAS BUCH VOM MENSCHEN« EIN ANATOM.
SYSTEM MIT PHILOS. BEGRÜNDUNG. VERL. E. REISS-BERLIN.
 
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