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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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S., H.: Die Ordnende Gewalt der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0182
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wahrnimmt. Denn jedes Kunstwerk ist ein Akt
des Bewußtseins; nicht des zersetzenden und
lebenlötenden, sondern des ordnenden, organi-
sierenden und das Leben heiligenden Bewußt-
seins. Jedes Kunstwerk führt ein Stück Chaos
in Gestalt, eine Welle Stummheit in geformte
Sprache über. Jedes Kunstwerk gewinnt dem
Leben ein Stück Land ab und rückt die Grenz-
pfähle des Menschlichen eine Strecke weiter
hinaus. Man hat von der Plastik der Griechen
wenig begriffen, wenn man in ihrer stolzen,
blanken Form nicht den kriegerischen Geist aus
Urkämpfen der Menschheit wahrnimmt; wenn
man nicht merkt, daß diese Formleistungen
Formsiege sind, aus ähnlicher Not und Kraft
geboren wie die streitbaren Begegnungen des

Griechenvolkes mit dem übermächtigen Xerxes.
Bei Marathon, bei Salamis ward das dunkle
Asien aus Europa zurückgeschlagen; aber auch
die Formleistungen des Äginetenfrieses, des
Olympiatempels, des Doryphoros sind Siege
über Asien und das, was Asien vertrat: das
Chaotische, Naturhafte, Dunkle und Irdische.
Gerade die gewaltige Bestimmtheit der griech-
ischen Form verrät, daß sie unter einer Be-
drohung und auf Grund einer athletischen Auf-
raffung zustande gekommen ist. Griechische
Form steht nicht milde und gelöst in einem fried-
lichen Leben; sie steht zwar mit Ruhe, aber
sichtbar bewaffnet unter schwarzen kosmischen
Himmeln, gegendie sie sich abhebt undbehauptet.
— Ja, die Natur selbst hat ein Verlangen nach

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