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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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S., H.: Die Ordnende Gewalt der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0181

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E. FRANK-UTZON-
KOPEN HAGEN.
»MÄDCHENKOPK«

DIE ORDNENDE GEWALT DER KUNST

Die Kunst, o Mensch, hast du allein!", heißt es
in Schillers Gedicht „Die Künstler". Darin
ist ausgesprochen, daß die Kunst in ganz beson-
derer Weise mit dem Menschen verbunden ist;
mit eben diesem Menschen, der im übrigen so
mancherlei Tun, Fühlen und Leisten mit dem Tier
gemein hat. Worin besteht die besondere Be-
ziehung der Kunst zum Menschen? Sie besteht
in einer Teilnahme an der großen menschlichen
Gesamtleistung, eine Welt zu errichten, die über
den bloßen Naturzusammenhang hinausgeht.

Ob wir es auch noch „so herrlich weit ge-
bracht" haben — wie Goethes Famulus meint —
so reichen doch lief in denTagunsrer Geschichte
bedeutsame Mahnungen an alte Zustände
unsres Geschlechts, die dem animalisch-natur-
haften Zustand bedenklich nahe gelegen haben.
Vor der vaterrechtlichen Ordnung, in der wir
leben und die eine Ordnung des siegenden
Geistes ist, gab es eine mutterrechtliche, die die
dunklen allumfassenden, mütterlichen Erdkräfte
tiefer und ernster ehrte, als jede private diony-
sische Erschwingung von heute nachzufühlen
vermag. Noch vor dieser mütterlichen Ordnung
aber gab es eine rein hetärische, die auf eine
sehr viel dunklere Naturgebundenheit des Men-

schengeschlechts hinweist. Herodot erzählt von
entsprechenden Gebräuchen der Babylonier,
die ihn, den Griechen, bereits stark anfremden,
die aber damals noch im vollen Licht der Ge-
schichte lagen. Man kann darnach ermessen,
wie jung die eigentlich geistige Ordnung unter
Menschen ist und welches Interesse er heute
noch daran haben muß, seine geistige Welt
gegen die Naturbedrohung sicherzustellen. Denn
diese Bedrohung dauert bis zum heutigen Tag
fort, genau so, wie die mütterlichen Segnungen
fortdauern, die die Natur uns spendet. Fort-
während bleibt die Frage unsres Verhältnisses
zur Natur aktuell; denn dieses Verhältnis wird
zwar nie mehr das einer hemmungslosen Hin-
gabe sein können, aber auch nicht das einer
vollkommenen Feindseligkeit. Es handelt sich
vielmehr um die tausend Möglichkeiten, die
zwischen diesen beiden Polen liegen, und ihre
praktisch-diskursive Behandlung bildet eben
den wesentlichen Inhalt der Geistesgeschichte.

Es macht die Würde der Kunst aus, daß sie
in dieser durch die Jahrtausende fortdauernden
Auseinandersetzung im großen Ganzen auf der
Seite des menschlichen Geistes steht, also
ein spezifisch-menschheilliches Gesamtinteresse
 
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