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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Geron, Heinrich: Kultur und Geschöpflichkeit
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Bertelsson, Alexander: Kunst und Können
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0044

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KULTUR UND GESCHÖPFLICHKEIT

Unter dem Begriffe der Kultur versteht man
die Gesamtsumme aller Wesenheiten, durch
die sich die menschliche Gesinnung und ihr tat-
hafter Ausdruck hier auf Erden vollzieht. Der
Mensch wird sich seiner besonderen Lage gegen-
über der seiner außermenschlichen Mitwesen
hinieden bewußt; er erkennt, kraft seiner
höheren Gaben, die grundlegenden Dinge, vor
allem sich selbst, die Welt und die oberste und
tiefste Daseinsursache; er mißt sich der Art
dieser Erkenntnis gemäß eine Lebensaufgabe
zu, deren Umsetzung, soweit sie am gattungs-
haft Menschentümlichen beteiligt ist, eben Kul-
tur ist. Alle kulturliche Tat- und Gesinnungs-
haftigkeit ist also an den einzig und allein dem
Menschen verliehenen Rang der übergeordneten
Bewußtheit geknüpft, darum ersteht sie auf Er-
kenntnis, Kenntnis und Anerkennung. Grund-
legende Erkenntnis: daß Leben ist und darge-
leistet, bewältigt, gelebt werden muß. Grund-
legende Kenntnis: daß Bewußtheit zu diesem
Be wandt höchster Wert ist. Grundlegende An-
erkennung : daß Satzungen, Bindungen und Ver-
festigungen zu diesem Zweck not sind. Der
Mensch als Einzel- oder Sammelwesen leistet
für die Kultur, wenn er für den Menschen als
Gattungs- oder ideelles Wesen, das heißt für das
Menschentümliche, für die Welt oder deren
obersten Sinn, Gott, denkt, schafft, handelt
oder tut. Rückläufig wird er dadurch belohnt,
daß ihm aus den Kräften der kulturlichen Be-
wältigungen Bestätigung, Hülfe und Förderung
für das Leben kommt. Kultur ist der Dienst
am Sinn des Lebens, damit dieser Lebenssinn
dem Menschen wiederum diene.

Der Erkenntnis und dem Wissen des Men-
schen sind durch oberste Weisheit eherne und
ewige Grenzen gesetzt. Dieser Umstand zwingt
das Kulturleben in den geschöpfliehen Rah-
men. Da Leben an sich nicht anders als un-
endlich denkbar ist, handelt es sich in der Kul-
tur immer um eine endliche Antwort auf die
unendliche Frage nach dem Sinn des Lebens,
um eine faßbare Lösung des Rätsels nach der
unfaßbaren Bedeutung des Daseins. Hieraus er-
klärt sich der durchaus geschöpfliche Charakter
des Kulturlebens, Auf- und Niedergang, Blüte
und Verfall, Bodengebundenheit und ihre Ab-
wandlungsfähigkeit, nämlich der Umstand, daß
Kultur nicht allgemein als Kultur, sondern in
verschiedenen Kulturen in Erscheinung tritt.
Innerhalb des geschöpflichen Rahmens kann die
Geschöpflichkeit des Menschen, oder die der
Erde, also die Natur, oftmals in Gegensetzung
zum Kulturwillen des Menschen stehen, aber
nie so, daß die Kultur die Natur auslöschen
oder vernichten, sondern so, daß sie sie über-
winden, bändigen, nutzen und einrichten will.
Die Natur an sich ist der Kultur feind, die Kul-
tur hingegen tritt die Natur mit dem Willen der
menschentümlichen Pflege und Durchdringung
an, nicht als ihr Gegner, sondern als ihr be-
rufener und berechtigter Verwalter und Gestal-
ter. Am Menschen, an der Mitte und dem Maß
des Kulturwillens, wird der eigene Verhalt der
Beziehung von Kultur einerseits und Geschöpf-
lichkeit oder Natur andrerseits am besten klar.
Der nichts als natürliche Mensch wäre ein Tier,
ein nichts als kulturlicher Mensch aber ist un-
denkbar, ein Gespenst......Heinrich geron.

KUNST UND KÖNNEN

von maler alexander bertelsson—dresden

Die Kunst im eigentlichen Sinne wird nicht
durch handwerkliches Können bestimmt;
sie fängt keineswegs da an, wo sie sich mit mehr
oder weniger geschickten Versuchen zu nachbil-
dender Darstellung eines Dinges oder Vorganges
erschöpft. Lehrreich ist das Beispiel Goethes,
der sein Leben lang nach inneren Erkenntnissen
und unablässig nach jenen wesentlichsten Vor-
aussetzungen rang, von denen er wußte, daß sie
den Wert eines Kunstwerkes bestimmten, daß er
sie jedoch durch keine Theorie erhalten könne.

Wo das Genie beginnt, hört alle Schulweis-
heit auf. Man hatte sich bislang so sehr daran
gewöhnt, die verschiedensten Angelegenheiten,

die auf einem besonders entwickelten Können
und Beherrschen des Handwerklichen beruhten,
als Kunst zu bezeichnen. Kein Wunder, daß es
Kunst-Maler, Kunst-Tischler, Kunst-Läufer und
dergleichen gibt, weil man die Kennzeichen der
Kunst in Äußerlichkeiten anstatt im geistigen
Wert und Wesen suchte. Es bedarf doch wohl
kaum einer Beweisführung für die Feststellung,
daß Begriffe wie kunstvoll und künstlich, die
eben auf Überwindung von Schwierigkeiten des
Handwerks, oder die auf Kunstfertigkeit —
kurzum auf Können deuten, das Werk wahrhaf-
ten Künstlertums nicht kennzeichnen. Lehrreich
ist das Bekenntnis des Apostel Paulus, er habe
 
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