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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Niebelschütz, Ernst von: Vom Bauherrn Friedrich der Grosse
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0263

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VOM BAUHERRN FRIEDRICH DER GROSSE

VON ERNST V. NIEBELSCHÜTZ

Es ist heute Mode geworden, Friedrich dem
Großen in seiner Eigenschaft als Beschützer
der Künste jede Originalität abzusprechen und
zu behaupten, daß er, ohne tieferes Verständnis
für die schöpferischen Kräfte der Nation, die
lebendige Entwicklung eher gehemmt als ge-
fördert habe. Wie Shakespeare und der junge
Goethe, so sei ihm auch auf dem Gebiete der
Architektur und bildenden Künste die ursprüng-
liche Genialität kühner Bahnbrecher ein Greuel
gewesen. Man verweist auf die zahllosen Nach-
ahmungen fremderund älterer Bauwerke, auf den
häufigen Wechsel seiner Kunstanschauungen,
auf das Durchschnittsmaß der meisten seiner
Bauintendanten und kommt nach alledem zu
dem Schluß, daß sich das von Friedrich ge-
schaffene Werk von Potsdam bei näherer Be-
trachtung doch als ungleich geringer herausstelle
als der Ruf, den es bei der kritiklosen Nach-
welt genießt.

Die Beweisführung scheint einleuchtend und
ist im wesentlichen doch unzutreffend, weil sie
von dem irrigen Glauben ausgeht, daß ein Kunst-
werk nur dann den Wert der Originalität be-
sitze, wenn es von allem Früheren und Gleich-
zeitigen unabhängig ist, wenn es selbst Schule
macht, anstatt das Ergebnis einer Schule zu
sein. Es ist die Untugend unserer heutigen Kunst-
wissenschaft, überall die Frage nach den Ein-
flüssen zu stellen und uns damit jede wahre

Freude an der Kunst radikal zu verderben, wo
es doch sehr viel vernünftiger wäre, unbefangen
zu prüfen, ob das Objekt gut oder schlecht ist
und ob der Mensch, der sich in ihm offenbart,
als Persönlichkeit unserer Bewunderung wert
ist oder nicht. Niemand, der Potsdam besucht,
wird sich diesem ganz persönlichen Zauber auch
nur für Augenblicke entziehen können. So bunt
das alles zusammengewürfelt erscheint, so viele
und unter sich widerspruchsvolle Kulturen sich
hier ein Stelldichein gegeben haben, so unbe-
denklich entlehnt und kopiert worden ist — es
gibt doch keinen Stein in diesem friderizianischen
Gesamtkunstwerk von Sanssouci, der nicht von
seinem Schöpfer zeugte und das beglückende
Gefühl in uns zurückließe, daß hier an den
Ufern der Havel einmal eine Kultur zuhause
war, eine wirkliche, d. h. eine ganz einheitliche,
ganz abgerundete, vom Menschen ausgehende
und zum Menschen hinstrebende Kultur. Nicht
eine nationale Urkraf t hat sie ruhig und organisch
reifen lassen. Von je ist sie als die Schöpfung
eines Einzelnen empfunden und gepriesen
worden. Darin liegt ihre Eigenart und auch ein
gut Teil ihrer heimlichen Tragik. Sie ist das
Werk eines Anachoreten, eines Menschen, der,
wie Friedrich selbst von sich bekannte, „mit
der Welt in Ehescheidung lebte".

Wie hätte also Friedrich, der nicht müde
wird, über die deutsche Barbarei zu klagen, in

XXX. Janmr 1827. «
 
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