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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Niebelschütz, Ernst von: Über den Verfall der Porträtkunst: Selbstgespräch eines Gelegenheits-Skeptikers
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Hoff, August: Jenny Wiegmann - Charlottenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0378

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Über den Verfall der Porträtkunst

wo anders liegen sie als bereits in der Theorie
der Freilichtmalerei! Der Expressionismus
ging auf diesem Wege nur weiter, weil er stärker
noch als sein Vorgänger von der Doktrin be-
herrscht und zudem von der fixen Idee besessen
war, daß es des wahren Künstlers unwürdig
sei, mit der Natur zu paktieren. Noch einmal:
ich halte die unbedingte Ähnlichkeit für eine
Philisterforderung. Allein die zum Prinzip er-
hobene U n ähnlichkeit ist etwas weit Schlim-
meres: Urkundenfälschung! Aber deine Seele,
deine unsterbliche Seele! — wird man mir ent-
gegenhalten. Rund herausgesagt — ich bin zu
schamhaft, diese meine Seele vor aller Augen
von einem Künstler entblößen zu lassen, halte
es vielmehr mit Leibi, der zu sagen pflegte:
„wenn ich den Menschen so male, wie er ist,
so ist die Seele ohnehin mit dabei".

Oder soll ich gar zu einem Konstrukti-
visten gehen? Ich verfolge auch diese Be-
wegung mit aufmerksamem Interesse, aber
Porträt?. . nein! Warum soll gerade ich mich
in einen geometrischen Lehrsatz verwandeln
lassen? Warum nicht ein anderer? Mein Kopf
ist schließlich noch das einzige, was mich not-
dürftig vor dem Verhungern schützt. Wer
garantiert mir dafür, ihn nicht eines Tages im
konstruktivistischen Bilde als Billardkugel be-
handelt zu sehen, oder auch als aufklappbarer

Schalterkasten, in dem mein Gehirn dann viel-
leicht in Gestalt einer Glühbirne öffentlich zur
Schau gestellt wird? Merci.

Im Ernste: man hat heute keinenRespekt
vor dem Menschen mehr. Ich meine, vor
dem Menschen als Träger und Ausdruck
geistig-sittlicher Kräfte, die wir als vor-
handen doch am Ende wohl anerkennen müssen,
sollen wir uns nicht zu einer vollen Bankrott-
erklärung genötigt sehen. Und allzu weit sind
wir nicht mehr davon entfernt. Wenn ich die
Bildnisse der „Veristen" sehe, denen man ja
eine besondere Sachlichkeit nachrühmt, so kann
ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ein
neues Menschheitsideal nach der Typologie des
Berufsverbrechertums und des Idiotimus im An-
marsch ist. Soll ich mich der Gefahr aussetzen,
im Gedächtnis meiner Nachkommen unter der
Maske eines Bordellwirtes oder eines Kretins
weiterzuleben? — Niemand wird es mir ver-
denken können, daß ich so etwas zu vermei-
den suche. . Ich fürchte also, es wird nichts
weiter übrig bleiben als zum Photographen zu
gehen. Man weiß, was man mit nach Hause
bringt. Wenig, sehr wenig, aber immerhin doch
etwas, und wäre es nichts weiter als das ge-
treue Abbild meiner vergänglichen Erscheinung.
Über mein unsterbliches Teil mag dann jeder
denken, was er will. Basta! e. v. n.

JENNY WIEGMANN-CHARLOTTENBURG

VON DR. AUGUST HOFF

Die neue Wertung der romanischen Kunst
in unseren Tagen ist aufs engste verknüpft
mit dem eigenen Kunstwollen. Der Künstler
strebt aus der Zerrissenheit und Vielfältigkeit
zurück zur Einfachheit und strengen Gebunden-
heit, zur Sammlung und Geschlossenheit, die
die Romanik eindeutig und eindringlich ver-
körperte. Ihr Vorbild wirkt klärend, ist für
schwächere Naturen freilich wieder die Gefahr,
sich an das Vorbild zu verlieren.

Dieser Gefahr ist Jenny Wiegmann auch
nicht immer entgangen. Dafür sind die in Rom
1925 gestalteten Sockelreliefs und Stukko-
Reliefs in der Antoniuskapelle in Oerlinghausen
Beispiele. In diesen und anderen Werken
kirchlicher Kunst spricht sich tiefe Andacht und
mystische Versenkung aus. Im Streben nach
symbolhafter u. monumentaler Gestaltung offen-
bart sich der Weg über individuelle religiöse
Haltung zur kirchlichen Bindung. Allgemeine
und überzeitliche Gültigkeit versucht die Künst-
lerin ihren symbolhaften Figuren in statuarischer
Haltung oder feierlich rhythmisierten Gruppen

einzuformen. Unmittelbarer erfühlt und voll
stiller Andacht sind Werke wie die Terrakotta-
Gruppe „Ruhe auf der Flucht".

In diesen religiösen Werken wird auf alle
individuellen Züge möglichst verzichtet. Die
Form gibt unbedingt plastisch-räumliche Wir-
kung. Dabei ist stets eine eindeutige Bild-
und Anschauungsebene gewählt. Die geschlos-
senen Umrißlinien der Figuren und die innere
Zeichnung von großer Einfachheit wie die pla-
stischen Motive sind von weicher Zartheit.

Auch in den Porträts ist versucht, über die
kleinen individuellen Züge hinaus zu einer ty-
pischen Gestaltung zu gelangen. Die unmittel-
bare Beobachtung gibt diesen Arbeiten die
größere Frische und Lebensfülle.

Viel frauliche Feinheit und Zartheit ist im
Gesamt werk fühlbar, in der Auffassung, der
Gesamtanlage, der einzelnen Form und Linie.
Ein weiches bildsames Material ist der gegebene
Werkstoff. Die Farbe gibt den Terrakotten
die Vollendung. Sie dient nur zur Illustrierung
der Form und wird symbolhaft angewandt.
 
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