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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Sydow, Eckart von: Das Leben der Farben im Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0340

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Das Leben der Farben im Kunstwerk

lieh zu machen, — aber ihr eigentliches Wesen
ist das selbstgenügsame Dasein, erfüllt von Span-
nungen und Harmonien, die innerhalb des Farb-
bereiches selbst sich auswirken. Diese auf sich
selbst gestellte schöpferische Kraft der farbigen
Dynamik, Statik und Dramatik tritt vielfach erst
im höherenAlter der genialen Maler in wirk-
lich bedeutenden Dokumenten hervor: Rem-
brandts, Tizians, Corinths Namen hegen am
nächsten. Erst nach der Lockerung der allzu
unmittelbaren sinnlichen Beziehung zur Umwelt
scheint die Fähigkeit zur reinen, reichen und
gehaltvollen Farbkunst zu erwachen.

Wohl ist auch dann noch das Bedürfnis nach
Zusammenhang mit der Außenwelt vor-
handen, aber ihr Spiegelbild ist eher ein Schat-
tenbild. Das Wesentliche solcher Spätkunst
liegt darin, daß die Weltstruktur so sehr mit der
Farbigkeit verwachsen ist, daß das anorganische,
organische und geistig-seelische Bereich ein un-
mittelbareresEchofindet, als in denWerken pein-
lich genauer Abbildungsart. Nicht das Tatsäch-
liche, sondern sein Sinn wird formuliert. So
das Anorganische in den Tiefen- und Flächen-
bewegungen, die durch das Zusammenspiel ver-

schiedener Farben oder unterschiedlich nuan-
cierter Farbigkeit ermöglicht werden. So das
organische Leben durch die Wechselbeziehung
der einzelnen Farbmomente zu einander und
ihre abgeschlossene Einheit im Aufbau und Um-
fang. Endlich die psychische Schicht durch die
mehr oder minder erotische Färbung, die Stim-
mung zum Heiteren oder Pathetischen, Grotes-
ken oder Grausigen . . . . , — die ganze Welt
allgemeiner Gefühlshaltungen kann hier be-
schworen werden.

Aber nicht mit Unrecht hat man darauf hin-
gewiesen, daß solche Selbstgenügsamkeit der
Farbigkeit eine vorwiegend im Alter auftretende
Erscheinungsweise ist. Diese Tatsache warnt
vor ihrer Überschätzung und dogmatischen Lob-
preisung. Dem Farbspezialisten fehlt oft der
Sinn für die objektive Struktur der Wirklich-
keit, — er baut nicht mehr mit am gemeinsamen,
allseitigen Werk, das sich sachlich dokumen-
tieren will und muß, und das im Entwurf und
Beginn die Angelegenheit nur der idealistischen
und vital leidenschaftlichen Jugend ist. Ein
solches Arbeiten im Sinne der Gemeinschaft aber
ist es, das uns gegenwärtig unendlich not tut. .
 
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