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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Schmidt, Paul F.: Edwin Scharff - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0444
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Professor Edwin Schar ff-Bertin

PROF. EDWIN SCHARFF—BERLIN

PLASTIK »SITZENDE FRAU« 1925

barer Rundform, weniger aber auf Charakteri-
sierung zerklüfteter Altersformen hindeuten.

Eine schöne Selbstverständlichkeit unbeirr-
bar plastischen Empfindens hat seine Bildwerke
erstehen lassen. Nie handelt es sich um weit
hergeholte Komplexe; der menschliche Akt,
sitzend, stehend, kauernd, ein phrasenlos ge-
gebener Kopf als Porträt, leicht bewegte Pferde
sind die einzigen, stets wiederkehrenden Mo-
tive. Reichtum und Spannkraft dieser Kunst
liegt in der taktischen Abwandlung des Natur-
vorbildes, in der Erschaffung einer in sich
ruhenden Raumgestaltung durch menschliche
(oder tierische) Bewegungsformen. Da es sich
nicht um Darstellung irgend welcher Vorgänge
handelt, die beschrieben werden können, son-
dern wirklich um das plastische Motiv an sich,
so ist nicht nur der Unterschied männlicher und
weiblicher Merkmale von sekundärer Bedeu-
tung (und das Erotische damit ausgeschaltet),
sondern auch vor allem die Vollständigkeit des
Organismus nebensächlich. Das Fehlen von

Gliedmaßen, zu denen auch der Kopf gehört,
wirkt mit derselben gesetzmäßigen Notwendig-
keit wie bei Michelangelo; das Torsohafte ist
keine Spielerei bei Schärft, sondern Bestandteil
seines Formenkanons.

Seine Problematik, die trotz der überwäl-
tigenden Schlichtheit und Gradlinigkeit der pla-
stischen Ideen besteht und diese im Untergrund
so interessant beeinflußt, ist in seiner doppelten
Veranlagung zu suchen. Wenn Kolbe Akte oder
Barlach seine dämonischen Lithographien zeich-
net, so spürt man die Absicht und Gestaltungs-
art des Bildhauers durchweg. Auch die Ge-
mälde und Radierungen Scharffs verleugnen
niemals den geborenen Skulptor. Aber ihr ganz
außerordentliches Wesen und der Entwicklungs-
gang des Künstlers deuten unabweislich auf
eine Zweiheit seiner Begabung hin, die an
Michelangelo und in eigentümlicherer Art an
Carstens denken lassen. Am 21. März 1887
in Neu-Ulm geboren, besuchte er seit 1902
nacheinander Kunstgewerbeschule, Malschule
 
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