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Bayer, August von [Ill.]; Fickler, Carl Borromäus Alois [Ill.]
Denkmale der Kunst & Geschichte des Heimathlandes: Die Kirchen auf Reichenau: Pläne, Aufrisse, Ansicht und Karte — [Karlsruhe], 1856-1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.12550#0004
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aber gerade der Nachklang der Art und Weise, wie er zu seiner Würde ge-
kommen, mochte die üble Nachrede eines Theiles seiner Mönche hervorrufen,
welcher in seinem gäben Tode eine Strafe seiner Amtsführung erblickte9).
Auch Ehrenfried, der Bischof von Constanz, wird noch vor Heddo's Wieder-
einsezung als Abt der Au erwähnt, und es scheint, dass von jezt an das Streben
der Bischöfe dieses Sprengeis, die Klosterstiftungen in ihrer Nähe dem Bis-
thume unterzuordnen und wenigstens deren reiches Einkommen zur Verbesserung
des ihrigen an sich zu ziehen, seinen Anfang genommen habe.

So Hess sich sein Nachfolger am Bisthum Constanz, Sidonius, wahrschein-
lich nach der Entfernung des um die Zeit von Ehrcnfricd's Tod wieder einge-
sezten 1 leddo zum Abte der Au ernennen und die Klage der dortigen Mönche,
dass er die Bücher seines Vorgängers für sich beansprucht habe, sind gleich-
falls ein Zeugniss des oben angedeuteten Strebens. Bei dem Versuche, aucli
St. Gallons sich zu bemächtigen, dessen Abt, der heilige Othmar, nicht ohne
sein Zuthuo angeklagt und vcrurthcilt worden war, überraschte ihn der Tod.

Auch Johannes, welcher von 760—781 dem Sidonius in den drei geist-
lichen Würden folgte, wollte in die Befreiung des Klosters auf der Sintlasau
nur unter der Bedingung einwilligen, dass das reiche geistliche Erbe, welches
er besass, unter seine drei Neffen getheilt werde l0). Freilich entzogen sich beide
Klöster diesem nepotistischen Uebercinkommcn; — ein Widerstand welchen
St. Gallen mit langjährigem Streite und der nothgedrungenen Abdankung seines
Abtes Waldo, Reichenau mit dem Verluste eines Theiles seiner Büchcrsamm-
lung bezahlen musste.

Nach Petrus1 fünfjähriger Leitung der Abtei wurde an seine Stelle Waldo
als Abt gewählt, welchem, nach seiner Beförderung an das Kloster St. Denis
von 806 bis 822 Heddo oder Hato II. als Abt folgte.

Unter der Verwaltung dieses, von Karl dem Grossen mannigfach begün-
stigten, zu wichtigen Gesandtschaften, u. A. an den byzantinischen llofc aus-
erschenen und mit dem Bisthum Basel belohnten Abte, sind die kirchlichen
Bauten, durch welche Reichenau einen hervorragenden Plaz für die deutsche
Kunstgeschichte bildet, theils begonnen, thcils vollendet worden.

Nach der Weise der übrigen Klöster, sogar derjenigen zu schlicssen, deren
Stiftung in eine noch spätere Zeit fällt, war der Bau der Niederlassung Pirmins
aus Holz ausgeführt worden. Eine Kirche und rings um den Friedhof die Zellen
der Mönche, dies mochte die erste Anlage des Klosters sein, bescheiden genug, doch
hinreichend, da noch unter Hato 1. Amtsführung in Reichenau nur zwölf Mönche
waren, und dem Einkommen der Stiftung entsprechend, welche, wenn die der
angeblichen Urkunde Karl Martel's zu Grunde hegende Uebcrliefcrung acht
ist, aus den Höfen Markoinngen, Alenspach, Kaltbrunn, Almansdorf und Er-
matingen bestand.

Eine erste Vergrösserung musste dem Kloster werden, als daselbst eine
Schule und zwar nicht blos für künftige Mönche, sondern auch für die Söhne
der schwäbischen Edcln errichtet wurde.

Diese Einrichtung wird von einem späteren Schriftsteller dem Abte Hato I.
zugeschrieben 1'). Lczterer aber ist, wenn überhaupt die Angabc auf älterer
Uebcrliefcrung beruht, mit Hato II. veswechselt, dessen Amtsverwaltung in die
Zeit fiel, da auf den Wunsch und nach dem Muster der Pfalzschulen Karls
des Grossen auch Klöster und Domstifter s. g. äussere Schulen gründeten.

Dass das Wirken der Rcichcnaucr Schule ein ebenso ausgedehntes, als
ausgezeichnetes gewesen sei, lässt sich aus der spätem glänzenden Stellung
ihrer Zöglinge schlicssen 12).

Auch ein anderer Umstand deutet auf eine Vergrösserung des Klosters
sowohl an der Zahl seiner Mönche, als an Umfang seiner Baulichkeiten.

Es ist dieses die Schenkung Karls des Grossen, welche in das Jahr 780
gesezt wird. Der Frankenkönig gab durch dieselbe einen Hof, welchen leibeigene
Fischer zu bebauen hatten, •— wahrscheinlich das jezige Fischerhaus auf der
Halbinsel zwischen dem Unter- und Ueberlingersco — zur Unterhaltung der
Tucher, Kürsencr und Schuster und eine Strecke Waldes für das zum Kranken-
hause des Klosters gehörige Badhaus.

Die betreffende Urkunde ist zwar in ihrer Form nicht ohne Grund als
unächt bestritten worden, aber ihr Inhalt ist durch eine noch erhaltene Urkunde
Arnulfs von Kärnten bestätigtl3).

Wir übergehen nach diesen einleitenden Worten zur Aufzählung der be-
stimmten Angaben über die einzelnen kirchlichen Bauten.

Die älteste der jezt bestehenden Kirchen zu Reichenau wäre, wenn wir
diesen folgten, die zu Unterzell.

Diese erbaute nach der Angabe Hermanns des Lahmen u) Bisehof Egino
von Verona, als er nach Niederlegung seines Hirtenstabes, Reichenau zu seiner
Ruhestätte erwählte (799), zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus.

Und doch trägt diese schlank gebaute Kirche mit ihren beiden Thürmen
das Gepräge einer beträchtlich jüngeren Zeit, als ihre Schwestern zu Ober-
und Mittelzell.

Wir versuchen den scheinbaren Widerspruch dahin zu lösen, dass Egino
den Bau der Kirche wohl begonnen und in derselben seine Grabstätte gefunden
habe, dass aber die Vollendung des Baues vielleicht erst gegen Ende des XI.
Jahrhunderts falle.

Unsere Ansicht wird durch die genaue Untersuchung des Baues selbst
bestätigt.

Auf den Abbildungen Taf. IV. Fig. 3 und 4 ist ersichtlich, dass innerhalb
der Thurmleibung rechts und links von dem Haupt-Chor das Gewölbe der
ursprünglichen Apsiden des Chors noch erhalten ist. Dieser alte Bau ist in
keiner organischen Verbindung mit dem spätem Hauptbauc.

Es ist also ersichtlich, dass die beiden Thürme und die mit ihnen gleich-
zeitige jezige Kirche ein Neubau über einen eingegangenen alten Bau sei, von
welchem man einzelne Theile in den Thürmen gleichsam wie in einen Mantel
einschloss.

Als zweite der kirchlichen Bauten und Restaurationen wird die Marien-
kirche oder das Münster bezeichnet, die jezige Pfarrkirche von Mittelzell. Um
sie gruppirte sich das Kloster und die „Herrenhöfe", in welche dasselbe kurz
vor seiner Einverleibung mit dem Bisthum Constanz zerfiel. Ihre Erbauung

wird von den Reichenauer Schriftstellern übereinstimmend dem Abte Hato I.
zugeschrieben und als die Zeit der Erbauung das Jahr 816 angegeben.

Die Stattlichkeit und der Umfang des Baues gestatten natürlich die An-
nahme eines einzigen Jahres als Bauzeit nicht. Wir sind daher geneigt, anzu-
nehmen, dass nach der Rückkehr Ilato's von der Gesandtschaft, die er für Karl
den Grossen nach Constantinopcl unternommen hatte, die Freigebigkeit des
Kaisers ihn in den Stand sezte, seinem Stifte ein bleibendes Andenken an die
Tage seiner Verwaltung zu erbauen. Den Anfang des Baues also in das Jahr
812 gesezt, mochte die von Hermann dem Lahmen angegebene Zeitbestimmung
die Einweihung der nun vollendeten Klosterkirche bezeichnen. Vielleicht hatte
die auf seiner Gesandtschaftsreise beim Schiffbruche ausgestandene Todesgefahr
die Veranlassung zu einem Gelübde gegeben, welches er auf diese Weise löste.

Ucber diesen Bau Hato I. sind zwei verheerende Feuersbrünste, eine
Zerstörung in Kriegszeiten ls) und mannichfachc Aenderungen durch Anbauten
und Erweiterung der ursprünglichen Anlage hingegangen.

Canz gewiss ist von demselben der mächtige Thurm übrig, dessen An-
sicht Taf. III gegeben ist.

Derselbe stand vielleicht ursprünglich mit der Klosterkirche in keinem
organischen Zusammenhang, wie die Glockentürme des Südens und der ihnen
nachgebildete Thurm von Hirsau.

Doch bald nach seiner Erbauung scheint er durch den westlichen Querbau
mit der Kirche verbunden worden zu sein. Vielleicht war es Hato III., welcher
zur Zeit Karls des Dicken, durch die reichen Gaben dieses Kaisers und seines
Nachfolgers dazu befähigt, diesen Bau unternahm.

Eine natürliche Folge hievon waren die beiden bedeckten Eingänge auf den
Seiten des Thurmes, durch welche man schon in den oben erwähnten Querbau
und von diesem wieder um einige Stufen in das Langhaus der Kirche hinabstieg.
Diese Verhältnisse des Fussbodens sind jetzt durch die nothwendig gewordene
Erhöhung des Kirchenbodens verwischt, doch an den Grundlagen der Pfeiler
auf dem Querdurchschnittc Taf. III immerhin noch zu erkennen.

Von dem ursprünglichen Baue Hato I. scheinen noch die beiden Hauptpfeiler
am Eingange zu sein. Die Tragpfeiler des Langhauses, welche die ursprüng-
liche Anlage in eine dreischiffige verwandeln, scheinen uns vom Bau des Abts
Witcgow (um 990) zu stammen. Denn' dieser Abt zierte nicht nur das ^Münster
mit vielen Altären und Bildern, sondern „baute auch dasselbe mit viel köst-
lichen Säulen und Gewölben" (Schönhuth S. 109). Doch wir müssen für Be-
stätigung oder Widerlegung unserer Ansicht auf das nächste Heß verweisen,
welches Einzelheiten dieses merkwürdigen Baues und des Kirchenschazes
bringen wird.

Der übrige Klostcrbau lehnte sich wohl im Viereck an die Südseite der
Kirche, und wahrscheinlich von den Mönchzellen eingeschlossen lag der ur-
sprüngliche Kirchhof. In und an diesen Kirchhof wurden später Kapellen ge-
baut und die Häuser, später „Höfe", ihrer Pfründniesscr machten sich an den
Stellen der Mönchzcllen und ausserhalb des Hofes bemerklich.

Die Wohnung des Abts wurde unter dem Namen „Pfalz" — früher wohl
als die Wohnung der kaiserlichen und königlichen Gäste — an den südlichen
Eingang zum Klostcrbczirko verlegt. Anstossend an dieselbe war die Kapelle
des heiligen Erasmus, welche Schönhuth IIS), der unsern Plan (Taf. II), auf dem
sie richtig bezeichnet ist, noch nicht kannte, mit der Pelagienkirche verwech-
selte "). Diese war, nach der Vcrmuthung des im XV. Jahrhundert lebenden
Gall Ohem, die Pfarrkirche der ausser dem klösterlichen Verbände lebenden
Bewohner der Insel (vielleicht nur des Bezirks Münster); eine Vcrmuthung die
auch durch den Namen ihres Patrons, des Schuzheiligen im Bisthum Constanz,
bestätigt wird. Sie wurde 1209 durch Bischof Wernher von Constanz mit
Chorherren versehen.

Eine genaue Untersuchung auf dem Plaze der Erasmus-Kapelle dürfte
beachtenswerthe Ergebnisse bringen, da in ihr die Herzoge Berhtold (wohl
der 917 enthauptete Kammerbote, wenn nicht eine Verwechslung mit
Burchard II. statt findet, vg. Stälin W. G. I S. 459 Anm. 2) Burchard II. und
Hermann (II. oder III?) ihre Grablcge gefunden habenls). Herzog Her-
mann I. wurde 948 in der S. Kilianskapelle begraben. Als Bauherr der Eras-
muskapelle wird Abt Witegow 984—996 angegeben 19).

Noch weiter südlich — wohl bei dem Friedhofe auf dem Situationsplan
(Taf. I. vg. Taf. II.) — war die Kirche von St. Johann; diese wurde nach einer
Angabc bei Schönhuth von Abt Ekkehard I. (958—972) erbaut20). Da diese
Kirche leider 1812 abgebrochen wurde, lässt sich aus der Vergleichung
des Baues mit dieser Angabc kein Ergebniss mehr ziehen. Der Grundriss
(Taf. II) zeigt nur dieselbe als ein romanisches Bauwerk mit späterer Ver-
grösserung der Fenster.

Die meisten der übrigen Kapellen sind jezt verbaut, oder spurlos ver-
schwunden.

Von den näher am Kloster befindlichen zählt Ohem 8 auf. Zwei im Ein-
gangsthurme sind in ihren Gewölben noch erhalten und auch im Durchschnitte
der Kirche (Taf. III) angedeutet.

Die eine wurde später die Bibliothek des Klosters, die andere des Abts
Gemach.

Näher der Hauptkirche standen — wahrscheinlich an der Stelle des jezigen
Chors — die Kapellen von Cosmas und Damian und vom heil. Kreuze. Beide
wurden von Abt Friedrich von Wartenberg abgebrochen, als er an S. Fidentag
1443 den jezigen Hochchor zu erbauen anfieng, welchen er noch bis zu den
Fenstern fortführte, die Vollendung des Baues wahrscheinlich seinem zweiten
Nachfolger Johann III., Pfuser von Nordstetten überlassend21). Er ver-
wandelte die Thurmkapcllcn in die Büchersammlung und das Abtsgemach, aus
welchem er sich allnächtlich erhob, um die Mette zu besuchen, nach welcher er,
ohne wieder zu Bette zu gehen, bis zur Prim ausruhte22). Auch die Kapelle
S. Nikolaus, welche Abt Johann Pfuser abbrach, mag zur Erweiterung des
Chors gedient haben. Die Kapellen S. Meinrad's, S. Kilian's und S. Lorenzen
— leztere ursprünglich der Ehre des heil. Januarius von Abt Witigcwo 985
erbaut — sah noch Gall Ohem; alle drei befanden sich wahrscheinlich an dem
vordem Querbau und sind theilweise noch vor den Tagen Witigewo's gegründet
 
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