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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0040
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Das Theater des VI. und V. Jahrhunderts.

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bald zu der Erkenntnis, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Er sieht nicht
etwa einen einheitlichen Bau vor sich, dessen Reste er nur im Geiste oder
in der Zeichnung zu ergänzen braucht, um ein volles Bild der ganzen An-
lage zu erhalten, sondern ein Gewirr von Fundamenten und Mauern, die aus
sehr verschiedenen Zeiten und Epochen stammen und unmöglich alle zu ein und
demselben Theatergebäude gehört haben können.

Durch die Ausgrabungen sind die Reste ganz verschiedener Entwicklungs-
stufen des Theaters zu Tage gefördert worden. Sie sind erhalten, weil bei
Umbauten die älteren Reste und namentlich die Fundamente nicht vollstän-
dig abgebrochen wurden, sondern unter der Erde verdeckt liegen blieben und
so im Altertum nicht sichtbar waren. Auf Tafel I und III sind alle erhalte-
nen Mauern je nach ihrem Materiale in verschiedener Weise dargestellt.

Da sind einzelne Mauern, welche nach Material und Technik aus jener
alten Zeit stammen, in welcher das griechische Drama entstanden ist, oder
wenigstens der Zeit angehören, in welcher die grossen Dramatiker lebten und
ihre Werke aufführten. Da finden sich viele Mauern und Bautrümmer, welche
wegen ihres Materials und ihrer Bauweise aus einer jüngeren griechischen Zeit
stammen müssen. Da sind ausserdem Steine und Fundamentmauern, welche nach
ihren Kunstformen der ersten Kaiserzeit zugeschrieben werden müssen. Da giebt
es endlich auch Bauteile, die wegen ihrer schlechten Ausführung den spat-
römischen Ursprung nicht verläugnen können.

Unter Beachtung der verschiedenen Baumaterialien, der verschiedenen Tech-
nik der einzelnen Mauern, der noch erhaltenen Kunstformen und einiger auf-
gefundener Inschriften ist es uns gelungen, fünf verschiedene Perioden in der
Baugeschichte des Theaters zu unterscheiden:

i. das Theater des VI. und V. Jahrhunderts,
das Theater des IV. Jahrhunderts (Lykurg),
das hellenistische Theater,
das frührömische Theater (Kaiser Nero),
das spätrömische Theater ( Phaidros).
Zur Erläuterung der nachfolgenden Beschreibung dieser verschiedenen All-
agen dienen die Tafeln I und III, welche die Grundrisse des ganzen Thea-
ters und des Skenengebäudes mit der Orchcstra im erhaltenen Zustande wie-
dergeben und ferner die auf den Tafeln II und IV abgebildeten Ergänzun-
gen derselben Grundrisse.

i. Das Theater des VI. und V. Jahrhunderts.

Seitdem das Theater ausgegraben war, pflegte man fast allgemein den Zu-
schauerraum und einen grossen Teil des Skenengebäudes für ein Werk aus
dem Anfang des V. Jahrhunderts zu halten. Man glaubte, dass die erhalte-
nen Ruinen die Reste desjenigen Theaters seien, in welchem die grossen klassi-

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