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ERSTER GESANG
1. emporsteigl. Dort saß Poseidon fröhlich beim Mahl. Die
andern Götter waren im Palast des Olympiers versammelt.
Der Vater der Götter und Menschen begann das Gespräch.
Er gedachte des erlauchten Aigisthos, den der Sohn Agamem-
30 nons, der weitberühmte Orestes, getötet, und sprach zu den
Unsterblichen: „Seltsam, daß die Menschen uns Götter be-
schuldigen! Von uns, sagen sie, komme das Unheil, während
sie doch durch eigene Schuld und eigenen Frevel mehr Leiden
erdulden, als über sie verhängt ist. So hat jetzt Aigisthos
gegen des Schicksals Bestimmung die Gattin Agamemnons
gefreit und ihn bei seiner Rückkehr getötet. Und doch kannte
er das drohende Unheil. Wir hatten ihm durch Hermes, den
blitzschnellen Späher, verboten, Agamemnon zu töten und
dessen Gattin zu frein. ,Sobald Orestes herangewachsen ist
40 und sich nach der Heimat zurücksehnt, wird er den Vater
rächen.1 So hatte Hermes gesprochen. Aber so gut er es
meinte, vermochte er doch den Sinn des Aigisthos nicht um-
zustimmen. Jetzt hat dieser alle Frevel auf einmal gebüßt.“
Die helläugige Göttin Athena erwiderte: „Mein Vater, Sohn
des Kronos, Höchster der Herrscher! Aigisthos hat mit vollem
Recht den gebührenden Tod gefunden. Möge so jeder zu-
grunde gehn, der solch schmähliche Taten verübt! Mir aber
bricht das Herz um den wackern Odysseus, den Unglückseli-
gen, der lange schon Leiden erduldet. Er lebt fern von seinen
so Lieben auf einem ringsumbrausten Eiland, dort, wo die Mitte
des Meeres ist. Auf der baumreichen Insel wohnt eine Göttin,
die Tochter des unheilsinnenden Atlas, der die Tiefen des
ganzen Meeres kennt und allein Herr ist über die Säulen, die
Erde und Himmel trennen. Sie hält den Armen zurück, der
sich in Kummer verzehrt. Zwar sucht sie ihn immer mit zärt-
lich bestrickenden Worten zu betören, damit er Jthaka ver-
gißt; er aber hat den sehnlichen Wunsch, nur den Rauch von
ERSTER GESANG
1. emporsteigl. Dort saß Poseidon fröhlich beim Mahl. Die
andern Götter waren im Palast des Olympiers versammelt.
Der Vater der Götter und Menschen begann das Gespräch.
Er gedachte des erlauchten Aigisthos, den der Sohn Agamem-
30 nons, der weitberühmte Orestes, getötet, und sprach zu den
Unsterblichen: „Seltsam, daß die Menschen uns Götter be-
schuldigen! Von uns, sagen sie, komme das Unheil, während
sie doch durch eigene Schuld und eigenen Frevel mehr Leiden
erdulden, als über sie verhängt ist. So hat jetzt Aigisthos
gegen des Schicksals Bestimmung die Gattin Agamemnons
gefreit und ihn bei seiner Rückkehr getötet. Und doch kannte
er das drohende Unheil. Wir hatten ihm durch Hermes, den
blitzschnellen Späher, verboten, Agamemnon zu töten und
dessen Gattin zu frein. ,Sobald Orestes herangewachsen ist
40 und sich nach der Heimat zurücksehnt, wird er den Vater
rächen.1 So hatte Hermes gesprochen. Aber so gut er es
meinte, vermochte er doch den Sinn des Aigisthos nicht um-
zustimmen. Jetzt hat dieser alle Frevel auf einmal gebüßt.“
Die helläugige Göttin Athena erwiderte: „Mein Vater, Sohn
des Kronos, Höchster der Herrscher! Aigisthos hat mit vollem
Recht den gebührenden Tod gefunden. Möge so jeder zu-
grunde gehn, der solch schmähliche Taten verübt! Mir aber
bricht das Herz um den wackern Odysseus, den Unglückseli-
gen, der lange schon Leiden erduldet. Er lebt fern von seinen
so Lieben auf einem ringsumbrausten Eiland, dort, wo die Mitte
des Meeres ist. Auf der baumreichen Insel wohnt eine Göttin,
die Tochter des unheilsinnenden Atlas, der die Tiefen des
ganzen Meeres kennt und allein Herr ist über die Säulen, die
Erde und Himmel trennen. Sie hält den Armen zurück, der
sich in Kummer verzehrt. Zwar sucht sie ihn immer mit zärt-
lich bestrickenden Worten zu betören, damit er Jthaka ver-
gißt; er aber hat den sehnlichen Wunsch, nur den Rauch von