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ALBRECHT DÜRER.
Richtung hervorklingt, weit mehr, als dies später der Fall sein sollte. Zu jener
Zeit, oder doch jedensalls in den solgenden zwei Jahren, entstand auch die leichte
Kreidezeichnung auf weissem Papier, die sicli im Britischcn Muscum zu London
in dem grossen Foliobandc befindet. Sie stellt eine weibliche Figur vor, einen
Vogel auf der linken Pland, und es isl darauf geschrieben: wDas ist ach (auch?)
alt, hat mir Albrecht Dürer gemacht Eer zum Maler kam in des Wolgemuth's
Hus usf dem Oberen Boden in dem hinderen Hus in bewesten (Anwesenheit?)
Cunrat Lomazens Piligena.
Dazumal, in seinem dreizehnten Jahre trat er bei dem Vater in die Lehre, um
das Goldschmiedehandwerk zu erlernen. Bald aber zog es ihn mehr zur Malerei,
und als er dies dem Vater vorstelltc, war dcrselbe einhehtig genug, seinem Ver-
langen nachzugeben, obwohl ihm die Zeit, die sein Sohn mit dem Goldsehmieden
zugebracht, nun verloren schien. Am 30. November i486 that er ihn zu Michael
Wolgemut in die Lehre, bei dem er drei Jahre lang die edle Kunst der Schilderei
erlernen sollte. Man sleht, der alte Dürer war ein vernünftiger Mann; wie
viele hätten in der gleichen Lage anders gehandelt! Und dass ihn mit Unrecht
die Zeit, die sein Sohn auf das Goldschmiedehandwerk verwandt, reute, dürfen
wir ihm nicht so übelnehmen. In Wirklichkeit aber war gerade diesc Lehre von der
grössten Wichtigkeit für den Buben: beim Goldsehmieden galt es damals scharf
und sauber zeichnen, galt es Modelle bilden, graviren, vergolden, emailliren,
niclliren, mit Zirkel und Grabslichel umgehen u. s. w. Die slrenge Zeichnung
und die so feine Ausführung in Dürers Malereien geht ohne Zweifel zum guten
Theil auf jene Vorsludien zurück, und vor allem hatte der Künsller dadurch seine
Praxis in der Behandlung des Grabstichels erhalten, die den Grund zu der späteren
Vollendung seines Kupfcrhechens legte. Es fragt sleh sehr, ob Dürer unter
anderen Verhältnissen zum Gravireisen gegriffen hätte. Nicht unmöglich, dass
damals die Stiche: Bekehrung Pauli, der grosse Kurier und der gewalthätige
Greis entslanden sind, die noch eine sehr schülerhafte Behandlung verrathen. Von
den Juwelierarbeiten, die Dürer jedenfalls mit grösserer und geringerer Hülfe
und Anleitung des Vaters fertigte, isl leider nichts bekannt geworden; nur die
Nachricht, dass er die heben Pashonsgeschichten Chrihi zu jener Zeit in Silber
getrieben, isl auf uns gekommen.
Meiher Wolgemut war damals allem Anschein nach der angesehenhe
Maler der Reichshadt. Zur Zeit seiner Geburt (1434) blühte in Nürnberg noch
die ältere deutsehe Schule mit ihren Leimfarben, den sanften Geslehtem und den
weichen Gewandfalten; in der genaueren Beobachtung der Natur war man noch
wenig vorgeschritten. Datirte Bilder aus der Nachbarhadt Bamberg, von 142g
und 1443, lassen darüber keinen Zweisel. Da erklang das neue Evangelium der
van Eyck; Werke von hochster Durchführung, von scharfer Naturtreue, ausge-
sührt in glühenden und mannigfaltigen Oelfarben, Feilten sleh den erslaunten
Blicken dar. Wolgemut's Kunhrichtung lässt es als ziemlich sicher erscheinen,
dass er an der Quelle selbh geschöpft; Köln, den Niederrhein und Flandern wird er
besucht und sleh dort den neuen Realismus angeeignet haben. In seinen Geslehtem
und Gewandfalten merkt man besonders den Einhuss des damals entseheidenden
Rogier van der Weyden; aber was bei dem Letzteren feinsle Durchbildung war,
ALBRECHT DÜRER.
Richtung hervorklingt, weit mehr, als dies später der Fall sein sollte. Zu jener
Zeit, oder doch jedensalls in den solgenden zwei Jahren, entstand auch die leichte
Kreidezeichnung auf weissem Papier, die sicli im Britischcn Muscum zu London
in dem grossen Foliobandc befindet. Sie stellt eine weibliche Figur vor, einen
Vogel auf der linken Pland, und es isl darauf geschrieben: wDas ist ach (auch?)
alt, hat mir Albrecht Dürer gemacht Eer zum Maler kam in des Wolgemuth's
Hus usf dem Oberen Boden in dem hinderen Hus in bewesten (Anwesenheit?)
Cunrat Lomazens Piligena.
Dazumal, in seinem dreizehnten Jahre trat er bei dem Vater in die Lehre, um
das Goldschmiedehandwerk zu erlernen. Bald aber zog es ihn mehr zur Malerei,
und als er dies dem Vater vorstelltc, war dcrselbe einhehtig genug, seinem Ver-
langen nachzugeben, obwohl ihm die Zeit, die sein Sohn mit dem Goldsehmieden
zugebracht, nun verloren schien. Am 30. November i486 that er ihn zu Michael
Wolgemut in die Lehre, bei dem er drei Jahre lang die edle Kunst der Schilderei
erlernen sollte. Man sleht, der alte Dürer war ein vernünftiger Mann; wie
viele hätten in der gleichen Lage anders gehandelt! Und dass ihn mit Unrecht
die Zeit, die sein Sohn auf das Goldschmiedehandwerk verwandt, reute, dürfen
wir ihm nicht so übelnehmen. In Wirklichkeit aber war gerade diesc Lehre von der
grössten Wichtigkeit für den Buben: beim Goldsehmieden galt es damals scharf
und sauber zeichnen, galt es Modelle bilden, graviren, vergolden, emailliren,
niclliren, mit Zirkel und Grabslichel umgehen u. s. w. Die slrenge Zeichnung
und die so feine Ausführung in Dürers Malereien geht ohne Zweifel zum guten
Theil auf jene Vorsludien zurück, und vor allem hatte der Künsller dadurch seine
Praxis in der Behandlung des Grabstichels erhalten, die den Grund zu der späteren
Vollendung seines Kupfcrhechens legte. Es fragt sleh sehr, ob Dürer unter
anderen Verhältnissen zum Gravireisen gegriffen hätte. Nicht unmöglich, dass
damals die Stiche: Bekehrung Pauli, der grosse Kurier und der gewalthätige
Greis entslanden sind, die noch eine sehr schülerhafte Behandlung verrathen. Von
den Juwelierarbeiten, die Dürer jedenfalls mit grösserer und geringerer Hülfe
und Anleitung des Vaters fertigte, isl leider nichts bekannt geworden; nur die
Nachricht, dass er die heben Pashonsgeschichten Chrihi zu jener Zeit in Silber
getrieben, isl auf uns gekommen.
Meiher Wolgemut war damals allem Anschein nach der angesehenhe
Maler der Reichshadt. Zur Zeit seiner Geburt (1434) blühte in Nürnberg noch
die ältere deutsehe Schule mit ihren Leimfarben, den sanften Geslehtem und den
weichen Gewandfalten; in der genaueren Beobachtung der Natur war man noch
wenig vorgeschritten. Datirte Bilder aus der Nachbarhadt Bamberg, von 142g
und 1443, lassen darüber keinen Zweisel. Da erklang das neue Evangelium der
van Eyck; Werke von hochster Durchführung, von scharfer Naturtreue, ausge-
sührt in glühenden und mannigfaltigen Oelfarben, Feilten sleh den erslaunten
Blicken dar. Wolgemut's Kunhrichtung lässt es als ziemlich sicher erscheinen,
dass er an der Quelle selbh geschöpft; Köln, den Niederrhein und Flandern wird er
besucht und sleh dort den neuen Realismus angeeignet haben. In seinen Geslehtem
und Gewandfalten merkt man besonders den Einhuss des damals entseheidenden
Rogier van der Weyden; aber was bei dem Letzteren feinsle Durchbildung war,