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LORENZO BERNINI.
Schönheit und Adel der Gehalt geht ihm ab. So oft er lieh daher über den
Durchfchnitt feiner gewöhnlichen Leibungen erhebt, gefchieht dies nicht infolge
einer inneren Kraftanbrengung, fondern bleibt immer mehr zufällig.
Trotz feines beifsigen Studiums nach der Antike blieb er unberührt von dem
Geibe derfelben; fo fehr er die einzelnen Arbeiten fchätzte und z. B. zuerft im
Pasquino die goldene Zeit erkannte, ihn drängte es in andere Bahnen. Es ib
oft getagt worden: Bernini hat für die Sculptur gethan, was Pietro da Cortona
für die Malerei feiner Zeit und, könnte man hinzufügen, Borromini für die
Architektur gethan: alle drei verwarfen die Berechtigung des ruhigen Seins in der
Kunb und fuchten he durch eine oft bis zum Abgefchmackten geheigerte Be-
wegung zu erfetzen. Man vergleiche in diefer Beziehung Cortona's bebe Arbeit,
die Fresken im Hauptfaal des Palazzo Barberini, Borromini's Thurm von S. Ivo
alla Sapienza und Bernini's Engel auf der Engelsbrücke unter einander.
Sucht man nach Vorbildern Bernini's in der vorhergehenden Kunbgefchichte,
fo wird man namentlich für die Köpfe der weiblichen Heiligen und Engel an
Correggio erinnert. Wir finden hier denfelben Gehchtsfchnitt mit dem etwas
zugefpitzten Oval, diefelbe Mund- und Nafenbildung, kurz dasfelbe ^niedliche
Gebchtchem<. In feinem reiferen Alter wirken die Niederländer auf ihn ein,
und nun gefällt er hch nicht feiten, fchlaffe, fettquellende Fleifchmaffen nament-
lich an feinen weiblichen Körpern zur Schau zu bellen. Bei den männlichen
Gebalten fucht er die Schönheit in einer barken Muskulatur — er glaubte dabei
wohl Michelangelo's Wege zu wandeln — die freilich auf die Gefetze der
Anatomie durchaus nicht ängblich Rücklicht nimmt. Die blafenartigen Er-
hebungen, mit denen er feine Körper bedeckt, htzen nur ungefähr an der Stelle,
wo die Natur den entfprechenden Muskel will, und haben auch nur ungefähr
die Form desfelben. Für das, was den menfchlichen Körper erb lebensfähig
macht, das Ineinandergreifen der einzelnen Muskeln bndet lieh bei ihm wenig
Verbändnifs. Wo es ihm nöthig fcheint, fchafft er zur Erhöhung der Wirkung
auch wohl neue Formen. So z. B. wird es ihm fab zur Regel, bei männlichen
Sculpturen an der äufseren Seite des Schienbeins den anticus tibialis in einer Weife
zu betonen, dafs er ungefähr denfelben Eindruck macht wie ein zweiter Schien-
beinknochen; eine Unmanier, der die ganze Schule folgte, fo dafs nureinBruch-
theil der männlichen Heiligen in den Kirchen Roms aus diefer Periode davon
verfchont ib. Oft ib die Behandlung des Fleifches in feinen jugendlichen Ideal-
gebalten gerügt worden; nicht mit Unrecht hat man diefelben mit Wachsfiguren
verglichen; fo barr und leblos erfcheint der übertrieben glatt gearbeitete Marmor.
Die Zeit freilich fah darin gerade die Straffheit der Form, wie be dem eben zur
Mannbarkeit heranreifenden Alter eigen und fand fo grofsen Reiz in diefer uns heut
widerlich erfcheinenden Auffaffung, dafs be bis zum Beginn der neuen Zeit die
herrfchende blieb. — Für die Gewandung der Ideal-Gebalten endlich wählte er mit
Vorliebe dünne feidene Stoffe, die in zahllofe kleine, gänzlich unmotivirte Falten
zerknittert bnd, während das Ganze nicht feiten als im Winde batternd gedacht
ib, fo dafs es neben dem Körper grofse baufchige Theile bildet. — An Stelle
des Hauptgefetzes aller Plabik, des Gefchloffenfeins der Gruppe in bch, tritt
auch hier die Bewegung — und welche Bewegung! Alles mufs in Affect gerathen;
LORENZO BERNINI.
Schönheit und Adel der Gehalt geht ihm ab. So oft er lieh daher über den
Durchfchnitt feiner gewöhnlichen Leibungen erhebt, gefchieht dies nicht infolge
einer inneren Kraftanbrengung, fondern bleibt immer mehr zufällig.
Trotz feines beifsigen Studiums nach der Antike blieb er unberührt von dem
Geibe derfelben; fo fehr er die einzelnen Arbeiten fchätzte und z. B. zuerft im
Pasquino die goldene Zeit erkannte, ihn drängte es in andere Bahnen. Es ib
oft getagt worden: Bernini hat für die Sculptur gethan, was Pietro da Cortona
für die Malerei feiner Zeit und, könnte man hinzufügen, Borromini für die
Architektur gethan: alle drei verwarfen die Berechtigung des ruhigen Seins in der
Kunb und fuchten he durch eine oft bis zum Abgefchmackten geheigerte Be-
wegung zu erfetzen. Man vergleiche in diefer Beziehung Cortona's bebe Arbeit,
die Fresken im Hauptfaal des Palazzo Barberini, Borromini's Thurm von S. Ivo
alla Sapienza und Bernini's Engel auf der Engelsbrücke unter einander.
Sucht man nach Vorbildern Bernini's in der vorhergehenden Kunbgefchichte,
fo wird man namentlich für die Köpfe der weiblichen Heiligen und Engel an
Correggio erinnert. Wir finden hier denfelben Gehchtsfchnitt mit dem etwas
zugefpitzten Oval, diefelbe Mund- und Nafenbildung, kurz dasfelbe ^niedliche
Gebchtchem<. In feinem reiferen Alter wirken die Niederländer auf ihn ein,
und nun gefällt er hch nicht feiten, fchlaffe, fettquellende Fleifchmaffen nament-
lich an feinen weiblichen Körpern zur Schau zu bellen. Bei den männlichen
Gebalten fucht er die Schönheit in einer barken Muskulatur — er glaubte dabei
wohl Michelangelo's Wege zu wandeln — die freilich auf die Gefetze der
Anatomie durchaus nicht ängblich Rücklicht nimmt. Die blafenartigen Er-
hebungen, mit denen er feine Körper bedeckt, htzen nur ungefähr an der Stelle,
wo die Natur den entfprechenden Muskel will, und haben auch nur ungefähr
die Form desfelben. Für das, was den menfchlichen Körper erb lebensfähig
macht, das Ineinandergreifen der einzelnen Muskeln bndet lieh bei ihm wenig
Verbändnifs. Wo es ihm nöthig fcheint, fchafft er zur Erhöhung der Wirkung
auch wohl neue Formen. So z. B. wird es ihm fab zur Regel, bei männlichen
Sculpturen an der äufseren Seite des Schienbeins den anticus tibialis in einer Weife
zu betonen, dafs er ungefähr denfelben Eindruck macht wie ein zweiter Schien-
beinknochen; eine Unmanier, der die ganze Schule folgte, fo dafs nureinBruch-
theil der männlichen Heiligen in den Kirchen Roms aus diefer Periode davon
verfchont ib. Oft ib die Behandlung des Fleifches in feinen jugendlichen Ideal-
gebalten gerügt worden; nicht mit Unrecht hat man diefelben mit Wachsfiguren
verglichen; fo barr und leblos erfcheint der übertrieben glatt gearbeitete Marmor.
Die Zeit freilich fah darin gerade die Straffheit der Form, wie be dem eben zur
Mannbarkeit heranreifenden Alter eigen und fand fo grofsen Reiz in diefer uns heut
widerlich erfcheinenden Auffaffung, dafs be bis zum Beginn der neuen Zeit die
herrfchende blieb. — Für die Gewandung der Ideal-Gebalten endlich wählte er mit
Vorliebe dünne feidene Stoffe, die in zahllofe kleine, gänzlich unmotivirte Falten
zerknittert bnd, während das Ganze nicht feiten als im Winde batternd gedacht
ib, fo dafs es neben dem Körper grofse baufchige Theile bildet. — An Stelle
des Hauptgefetzes aller Plabik, des Gefchloffenfeins der Gruppe in bch, tritt
auch hier die Bewegung — und welche Bewegung! Alles mufs in Affect gerathen;