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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Eggers, Friedrich: Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0185
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SONSTIGE IDEALE PLASTIK.

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Beftellung gewährt, welche vom Kaifer von Rufsland an ihn gelangte und geradezu
darauf gerichtet war, eine unbekleidete männliche oder weibliche «mythologifche
Statue^ nach freier Wahl in Marmor zu liefern. So mag die Skizze eines Narcifs
entflanden fein, welche im Rauch-Mufeum vorhanden und fpäter von Lazzarini
für den Grafen von Redern ausgeführt ifl. Zweifellos dienten diefem Zweck die
Skizzen einer Danaide und einer Eurydike, welche der Mufik des Orpheus laufcht.
Rauch hatte letztere zur Ausführung vorgezogen, aber in Petersburg wurde die
erflere gewählt, und fo entfland das fchöne Marmorbild, deffen Wiederholung auf
Beftellung des Königs von Preufsen durch feine Aufhellung in einem Saale der
neuen Orangerie bei Potsdam allbekannt ifl und die Meiflerfchaft Rauch's auch in
Bewältigung folcher Aufgabe beweift. Auch die Eurydike fand einen Befteller an
dem Herzoge von Orleans. Als aber das Hülfsmodell faft vollendet war, darb der
Herzog eines jähen Todes und das Modell ifl fpäter zerfallen.
Dem antiken Kreife idealer Gebilde gehört aber noch jenes Satyr-Knäbchen
an, welches im Rofengarten von Charlottenhof auf einer Amphora liegend als
Brunnenfigur dient. Rauch zeigt hier, in wie hohem Mafse ihm auch der liebens-
würdigfle Humor in feiner Kund zu Gebote deht. Man kann dch nichts Naiveres
denken, als den erdaunten Gefichtsausdruck, mit welchem der kleine Abkömm-
ling griechifcher Phantafiegebilde, über den Rand der Amphora gelehnt, die un-
freiwillige Aktion feines Mündchens begleitet. Denn er macht zum erden Male
die praktifche Erfahrung, dafs fein von Schönheit wie von Behagen durchdoffenes
Körperchen des Guten auch zu viel aufnehmen konnte.
Einem ganz anderen Kreife gehört eine Gruppe von idealen Figuren an,
welche in denfelben, vorzugsweife eben der Ideal-Pladik gewidmeten Zeitabfchnitt
von Rauch's Leben fallen. Die Kinder von dem Francke-Denkmal in Halle hatten
einen fo ungemeinen Beifall gefunden, dafs vielfach deren Einzelausführung in
Marmor oder in Erzgufs verlangt wurde. Es bedurfte dazu einer Umarbeitung,
um die Kleinen aus der Beziehung zu Francke, welche in der Gruppendardellung
nothwendigerweife betont war, heraus zu löfen. Der Knabe hat dabei die Um-
wandlung erfahren, dafs er in feiner Aktion einen Schritt weiter gegangen ifl.
Die Bibel, welche in jener Gruppe eben mit einem Dankesblick auf Francke von
ihm entgegen genommen ifl, hat er jetzt aufgefchlagen auf den Arm gelegt und
lieft darin. Ein Gegenflück dazu bildet ein fogenannter Camillo, ein Opferknabe,
welcher bittend eine Schale erhebt. Diefe beiden Figuren geftalteten fleh für
Rauch's eigene Empfindung zu Symbolen des Glaubens und der Liebe, und als
fleh die Veranlaffung darbot, der Kirche feiner Vaterfladt Arolfen ein Gefchenk
zu ftiften, gab er ihr beide Kinderfiguren in Marmorausführung und komponirte
als dritte den Genius der Hoffnung hinzu: eine mit langem faltigen Gewände
bekleidete, geflügelte Mädchengeflalt, welche die Hand mit Sehnfucht und Zu-
verficht nach oben hebt. Auch diefe ifl fpäter noch einmal umgearbeitet. Für
das Grab feines Bruders wandelte Rauch fle in einen geflügelten, am Ober-
körper unbekleideten Knaben; nur die Rechte, welcher der Blick der Sehn-
fucht folgt, ifl nach oben geftreckt; die Linke, über deren Arm das Gewand
ruht, hält eine Lotosblume. Das Modell war 185$ vollendet; der Erzgufs ver-
zögerte fleh, und als er nach zwei Jahren hergeflellt war, da fchlofs fein Schöpfer
 
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