DAS WELTGERICHT.
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lieh. Da möchten gerne einige Teufel eine eben Auferflandene an den Haaren
zu lieh herzerren: aber ein Engel fchützt fie liebevoll mit dem Schild und fenkt
das Schwert über fie: hier genügt das fchon zur Abwehr. Rechts geht der
Kampf in heftigfler Erregung vor fich, Einzelne fitzen in dumpfer Ergebung in
das Unabwendbare da. Links aber fchauen Auferflandene anbetend auf, ein
Engel bekränzt Liebende, die fich wiedergefunden und fich nicht fatt aneinander
fehen können, Andere werden von Engeln geführt. Hier hat der dankbare
Künfller feinen König als Zufchauer hinzugefügt.
Auch bei diefem Bilde ifl die Kompofition eine fhlvolle. Und doch hat
der Künfller es verbanden, das flrenge Schema zu durchbrechen, und fo ein
freieres Leben in die flrengen Linien zu bringen: gerade das, was inhaltlich die
Einheit hört, das Hereinziehen des Höllenrichters, erweifl fich nach diefer Seite
hin als wohlthätig und weife gedacht. Im oberen Theile fchließen fich die Kreis-
linien über, um und unter Chriflus als ihrem Centrum; weiter herabgehend verfolgt
man leicht zwei Hauptlinien, eine innere und eine äußere, die auffleigenden Seligen,
die herabgeflürzten Unfeligen umfaffend; diefe Anordnung bringt eine klare
Gliederung in die Fülle der Gehalten, fo daß das Gewirre fich löft und in große
Gruppen ordnet. Nun aber kommt, auf einem Hügel fitzend, rechts der Höllen-
richter, welchem links keine entfprechende Mähe das Gleichgewicht hält; dafür
find die Auferftandenen rechts unter dem Höllenrichter fitzend und liegend
niedergebeugt, während fie nach links immer mehr fich aufrichten und am
Rande vollftändig flehen. Die dennoch bleibende Lücke ifl etwas feltfam
durch einen perfpektivifch verkleinerten, auffchwebenden Mann ausgefüllt, wohl
zugleich zyr Andeutung der auch in weiterer Ferne Auferflehenden. Die natur-
gemäß flärkere Betonung der rechten Seite, wo der einen größeren Raum
beanfpruchende Kampf zwifchen Engeln und Unfeligen ftatthndet und wo der
Höllenrichter waltet, hat aber noch eine weitere Folge nach fich gezogen: fchon
der Engel des Lebens und des Todes mußte etwas nach links weichen; bei dem
Erzengel Michael ifl dies in noch höherem Grade der Fall: während fo die
fenkrechte Scheidelinie in ihrer Barken Betonung erhalten bleibt, wird doch der
fleife geometrifche Charakter der Linie vermieden, ein für den lebensvollen
Eindruck freier, der Sachlage entfpringender Bewegung innerhalb des das Ganze
beherrfchenden Gefetzes außerordentlich günftiger Umftand. Diefe freiere Be-
wegung findet aber auf der Erde, dem Tummelplatz der Willkür, flatt und
verliert fich mit ihrem Auffteigen zum Himmel, dem Wohnort und der Heimath
der ewigen Gefetze der Ordnung, in welchen fich der irdifche Mißklang in die
ungeflörte Harmonie der rein fymtnetrifchen Geflaltung auflöfl.
Wenn nun dennoch das hoheitsvolle Werk nicht den erwarteten Eindruck
macht und auch damals nicht machte, als es fich zuerft zeigte, fo hat dies
mehrfache Gründe. Der wichtigfle mag wohl der fein, daß eine realiftifche
Darftellung des Weltgerichtes der Grundanfchauung unferer Zeit von der Stellung
unteres Himmelskörpers im Verhältniß zum Weltganzen nicht mehr entfpricht.
Solange die Erde in der Vorftellung der Menfchen noch das Zentrum der
Schöpfung bildete, konnte ihr Gefchick noch als ein Weltgefchick, ein fie und
ihre Bewohner betreffendes Gericht noch als ein Weltgericht aufgefaßt werden.
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lieh. Da möchten gerne einige Teufel eine eben Auferflandene an den Haaren
zu lieh herzerren: aber ein Engel fchützt fie liebevoll mit dem Schild und fenkt
das Schwert über fie: hier genügt das fchon zur Abwehr. Rechts geht der
Kampf in heftigfler Erregung vor fich, Einzelne fitzen in dumpfer Ergebung in
das Unabwendbare da. Links aber fchauen Auferflandene anbetend auf, ein
Engel bekränzt Liebende, die fich wiedergefunden und fich nicht fatt aneinander
fehen können, Andere werden von Engeln geführt. Hier hat der dankbare
Künfller feinen König als Zufchauer hinzugefügt.
Auch bei diefem Bilde ifl die Kompofition eine fhlvolle. Und doch hat
der Künfller es verbanden, das flrenge Schema zu durchbrechen, und fo ein
freieres Leben in die flrengen Linien zu bringen: gerade das, was inhaltlich die
Einheit hört, das Hereinziehen des Höllenrichters, erweifl fich nach diefer Seite
hin als wohlthätig und weife gedacht. Im oberen Theile fchließen fich die Kreis-
linien über, um und unter Chriflus als ihrem Centrum; weiter herabgehend verfolgt
man leicht zwei Hauptlinien, eine innere und eine äußere, die auffleigenden Seligen,
die herabgeflürzten Unfeligen umfaffend; diefe Anordnung bringt eine klare
Gliederung in die Fülle der Gehalten, fo daß das Gewirre fich löft und in große
Gruppen ordnet. Nun aber kommt, auf einem Hügel fitzend, rechts der Höllen-
richter, welchem links keine entfprechende Mähe das Gleichgewicht hält; dafür
find die Auferftandenen rechts unter dem Höllenrichter fitzend und liegend
niedergebeugt, während fie nach links immer mehr fich aufrichten und am
Rande vollftändig flehen. Die dennoch bleibende Lücke ifl etwas feltfam
durch einen perfpektivifch verkleinerten, auffchwebenden Mann ausgefüllt, wohl
zugleich zyr Andeutung der auch in weiterer Ferne Auferflehenden. Die natur-
gemäß flärkere Betonung der rechten Seite, wo der einen größeren Raum
beanfpruchende Kampf zwifchen Engeln und Unfeligen ftatthndet und wo der
Höllenrichter waltet, hat aber noch eine weitere Folge nach fich gezogen: fchon
der Engel des Lebens und des Todes mußte etwas nach links weichen; bei dem
Erzengel Michael ifl dies in noch höherem Grade der Fall: während fo die
fenkrechte Scheidelinie in ihrer Barken Betonung erhalten bleibt, wird doch der
fleife geometrifche Charakter der Linie vermieden, ein für den lebensvollen
Eindruck freier, der Sachlage entfpringender Bewegung innerhalb des das Ganze
beherrfchenden Gefetzes außerordentlich günftiger Umftand. Diefe freiere Be-
wegung findet aber auf der Erde, dem Tummelplatz der Willkür, flatt und
verliert fich mit ihrem Auffteigen zum Himmel, dem Wohnort und der Heimath
der ewigen Gefetze der Ordnung, in welchen fich der irdifche Mißklang in die
ungeflörte Harmonie der rein fymtnetrifchen Geflaltung auflöfl.
Wenn nun dennoch das hoheitsvolle Werk nicht den erwarteten Eindruck
macht und auch damals nicht machte, als es fich zuerft zeigte, fo hat dies
mehrfache Gründe. Der wichtigfle mag wohl der fein, daß eine realiftifche
Darftellung des Weltgerichtes der Grundanfchauung unferer Zeit von der Stellung
unteres Himmelskörpers im Verhältniß zum Weltganzen nicht mehr entfpricht.
Solange die Erde in der Vorftellung der Menfchen noch das Zentrum der
Schöpfung bildete, konnte ihr Gefchick noch als ein Weltgefchick, ein fie und
ihre Bewohner betreffendes Gericht noch als ein Weltgericht aufgefaßt werden.