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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,2): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Valentin, Veit: Cornelius, Overbeck, Schnorr, Veit, Führich, 3, Kampf und Ausgang
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https://doi.org/10.11588/diglit.36324#0114
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DIE CAMPO SANTO-ZEICHNUNGEN.

IOI

preihtng verkörpern. Sie repräfentiren die Thätigkeit des Menfchen, die wenn
de der richtigen Leitung folgt, ein wefentlicher Faktor für die Vollendung des
grofsen Ganges der Weltentwicklung iff Eine ähnliche Aufgabe haben die
Predellenbilder der vierten Wand. An den erften drei Wänden flehen die Bilder
des Sockels in unmittelbarem fachlichen Zufammenhange, mag diefer vorbe-
deutender oder urfächlicher Art fein. Den grofsen Bildern der Erfüllung gegen-
über hört aber das Einzelereigniis auf eine Stellung entscheidender Bedeutung
zu haben: wo es hch um das Gefammtgefchick der Menfchheit für die letzte
grofse Entfcheidung handelt, mufs auch die Menfchheit in ihrem Gefammtwirken
fich zeigen. Die Einzelbilder dürfen alfo nicht mehr hihorifchen Charakter
tragen, nicht mehr diele einzelne beflimmte Perfönlichkeit bezeichnen, fondern
Gehalten und Handlungen, welche Repräfentanten der ganzen Menfchheit und
ihres Thuns und Treibens fein können. Diefes felbh aber foll der erfchütternden
Gewalt der Erfüllung gegenüber die Begründung darftellen, auf welcher fich
eine Berechtigung aufbaut, bei der Erfüllung nicht in das Verderben geriffen,
fondern zur Rettung geführt zu werden. So erfcheint hier die Menfchheit in
den Werken der Barmherzigkeit thätig, den einzigen, durch welche ein begründeter
Anfpruch auf Erlöfung erhoben werden kann. Es hat alfo hier nicht das einzelne
Bild einen unmittelbaren Bezug zu dem darüber befindlichen Hauptbilde, fondern
die Gefammtheit der Sockelbilder als Ganzes fleht der Gefammtheit der Haupt-
und Lünettenbilder als Ganzem gegenüber: fie hellen die Bafis dar, auf welcher
die Erfüllung für die Menfchheit zur Erlöfung wird.
So gehaltet fich ein in grofsen Zügen fich vollendendes Gedicht, das eben
um diefes grofsen Ganzen willen feinem Grundcharakter nach andeutende Tendenz
hat: auch die einzelnen hihorifchen Erfcheinungen gewinnen im Zufammenhang
eine erweiterte, über ihre Individualität hinausgehende Bedeutung, fo dafs he
fähig werden, vielfagende Glieder eines Ganzen zu fein, das ein Spiegelbild des
Entwicklungsganges des Weltganzen bieten foll und dies nur erreichen kann,
wenn feinen einzelnen Theilen eine weit über ihre individuelle Erfcheinung hinaus-
gehende, ganze Epochen und Geihesrichtungen zufammenfahende Kraft innewohnt.
Es ih daher geboten, die Entwicklung des Ganzen nicht nur in der hihorifchen,
fondern auch in der fymbolifchen Bedeutung feiner einzelnen Glieder zu ver-
folgen: felbhverhändlich kann dies nur bei den erhen drei grofsen Gruppen
gefchehen — die vierte Hauptgruppe giebt von vornherein jeden Anfpruch auf
hihorifche Kraft ihrer Erfcheinung auf. Hiernach entwickelt fich die ganze Dich-
tung in der S. 102 und 103 unten angegebenen Weife.*)
Diefe grofse Dichtung fand nun in dem Bildkünhler eine ebenbürtige Kraft,
um he auf dem Gebiete, für welches he gedacht war, zur Ausführung zu bringen.
Im Oktober 1843 ging Cornelius nach Rom: während des Winters dort wurde
das Wefentliche des ganzen Entwurfes beendet und die Zeichnungen ausgeführt.
Im Mai [844 kehrte er nach Berlin zurück, um das Fehlende zu ergänzen und
das Fertige dem Könige zur Billigung vorzulegen. Er fand diefe nicht ganz.
Die Anfpielungen, welche Cornelius in den Zwickeln auf das Heidenthum durch
*) Die dort vorgefetzten Bezeichnungen der Ueberficht verwerfen auf die Stiche von Thäter; die
Buchftabcn bedeuten, P: Predella, II: Hauptbild, L: Lünette.
 
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