MEISTERWERKE. — DIE STRAFENDE GERECHTIGKEIT.
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Verbrechens, den Dolch in der Brüh, liegt regungslos auf den Stufen, vor den
Augen des Mörders: er fchaudert zurück.)) Zwei Zeichnungen find uns erhalten,
die diefer Befchreibung entfprechen, die eine iR im Louvre (Br. $06) die andre
im Befitz von Mr. Cam. Marcille. (Br. 40.) Die rechte Seite Rimmt mit geringer
Abweichung auf beiden Blättern überein: auf erhöhtem Sitze thront die Göttin,
das Schwert aufrecht in der einen Hand, in der andern die Wagfchale, die
auf dem Schoofse ruht; ganz rechts auf befonderem PoRament Reht auf einem
SäulenRumpf die Stärke, gegenüber am Thron Klugheit und Mäfsigung; zu
ihren Füfsen liegt das Opfer, ein junges Weib, das in die Kniee gefunken,
mit dem Oberkörper fchräg gegen die Stufen lehnt, und unter dem Rarren Arm
die Leiche eines Kindes. Auf der linken Seite dagegen bemerken wir zwifchen
den beiden Zeichnungen wichtige Unterfchiede. Auf dem Louvreblatt Rürmt
der rächende Engel heRigen Schrittes heran, und reifst die beiden Schuldigen,
vorn den Mann, hinten das Weib, mit fleh fort vor das Tribunal. Der Ver-
brecher beugt die Knie widerRrebend und fchaudert zurück mit furchtbarem
Entfetzen. In dem Entwürfe der Sammlung Marcille bringt Nemefis nur einen
Thäter herbei, Reht ruhiger von vorn gefehen, nur den Kopf im ProRl der Göttin
zugewandt, und zeigt ihr mit Rolzer Gebärde den Gefangenen, der die Beine
rückwärtsRreckend Reh anRrengt, der eifernen Hand zu entwifchen ; hinter ihr aber
folgt noch eine andere Rnnende GeRalt, vielleicht die Reue, nach. (vgl. Br. 41.)
Beide KompoRtionen haben grofse Schönheiten. Hier wie dort wirkt die
Gruppe der Rachegöttin, welche die Schuldigen vor den RichterRuhl fchleppt,
gewaltig und erfchütternd, ergreiR uns der Anblick der Ermordeten mit ihrem
Kind, die wie ein Lamm auf der Schlachtbank hingeworfen liegt. Dennoch hat
der KünRler dies Projekt aufgegeben, und wir begreifen wohl weshalb. Als
Relief in feRem Rahmen ausgeführt entwickeln Reh die Gruppen von beiden
Seiten her vortrefRich. Befonders die erRe FaRung bei Marcille betont diefe
reliefartige Anordnung durch die beiden als Eckpfeiler daRehenden GeRalten der
Stärke und der Reue. Schon malerifcher iR die haRige Bewegung der veränderten
Gruppe. Aber die Gottheiten drüben Rnd wie aus Stein gehauen, und doch nicht
Rarr genug und unerfchütterlich. Und beide Male fehlt der rechte Zufammen-
hang, iR das Centrum für malerifche KompoRtion verfchoben.
Die Entfaltung aus der Tiefe heraus kündigt Reh fofort bei der neuen Wen-
dung als Hauptfache an. Eine Skizze (bei Mr. Moignon) zeigt den völlig ver-
änderten Vorgang mitten in einer weiten landfchaftlichen Umgebung, in der die
Figuren nicht einmal zu ihrem Rechte kommen.
Diefe Umkehr zu echt malerifcher Conception erfolgte bereits wenige Monate
fpäter. «Die göttliche Gerechtigkeit verfolgt beRändig das Verbrechen ; es kann
ihr nicht entRiehn)), fchreibt Prudhon am 5. messidor deffelben Jahres an den
Präfekten in engem Anfchlufs an Frochots Motto. «Unter dem Schleier der
Nacht, an entlegener wilder Stätte, erdroffelt das gierige Verbrechen ein Opfer,
bemächtigt Reh feines Geldes und fchaut noch zu, ob auch ein ReR von Leben
feine Unthat verrathen könne. Der UnRnrtige ! er Reht nicht, dafs NemeRs, die
fchreckliche Dienerin der Gerechtigkeit, wie ein Geier auf ihre Beute Rtirzt, ihn
verfolgt, ihn ergreifen und der unbeugfamen Göttin ausliefern wird. —"
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Verbrechens, den Dolch in der Brüh, liegt regungslos auf den Stufen, vor den
Augen des Mörders: er fchaudert zurück.)) Zwei Zeichnungen find uns erhalten,
die diefer Befchreibung entfprechen, die eine iR im Louvre (Br. $06) die andre
im Befitz von Mr. Cam. Marcille. (Br. 40.) Die rechte Seite Rimmt mit geringer
Abweichung auf beiden Blättern überein: auf erhöhtem Sitze thront die Göttin,
das Schwert aufrecht in der einen Hand, in der andern die Wagfchale, die
auf dem Schoofse ruht; ganz rechts auf befonderem PoRament Reht auf einem
SäulenRumpf die Stärke, gegenüber am Thron Klugheit und Mäfsigung; zu
ihren Füfsen liegt das Opfer, ein junges Weib, das in die Kniee gefunken,
mit dem Oberkörper fchräg gegen die Stufen lehnt, und unter dem Rarren Arm
die Leiche eines Kindes. Auf der linken Seite dagegen bemerken wir zwifchen
den beiden Zeichnungen wichtige Unterfchiede. Auf dem Louvreblatt Rürmt
der rächende Engel heRigen Schrittes heran, und reifst die beiden Schuldigen,
vorn den Mann, hinten das Weib, mit fleh fort vor das Tribunal. Der Ver-
brecher beugt die Knie widerRrebend und fchaudert zurück mit furchtbarem
Entfetzen. In dem Entwürfe der Sammlung Marcille bringt Nemefis nur einen
Thäter herbei, Reht ruhiger von vorn gefehen, nur den Kopf im ProRl der Göttin
zugewandt, und zeigt ihr mit Rolzer Gebärde den Gefangenen, der die Beine
rückwärtsRreckend Reh anRrengt, der eifernen Hand zu entwifchen ; hinter ihr aber
folgt noch eine andere Rnnende GeRalt, vielleicht die Reue, nach. (vgl. Br. 41.)
Beide KompoRtionen haben grofse Schönheiten. Hier wie dort wirkt die
Gruppe der Rachegöttin, welche die Schuldigen vor den RichterRuhl fchleppt,
gewaltig und erfchütternd, ergreiR uns der Anblick der Ermordeten mit ihrem
Kind, die wie ein Lamm auf der Schlachtbank hingeworfen liegt. Dennoch hat
der KünRler dies Projekt aufgegeben, und wir begreifen wohl weshalb. Als
Relief in feRem Rahmen ausgeführt entwickeln Reh die Gruppen von beiden
Seiten her vortrefRich. Befonders die erRe FaRung bei Marcille betont diefe
reliefartige Anordnung durch die beiden als Eckpfeiler daRehenden GeRalten der
Stärke und der Reue. Schon malerifcher iR die haRige Bewegung der veränderten
Gruppe. Aber die Gottheiten drüben Rnd wie aus Stein gehauen, und doch nicht
Rarr genug und unerfchütterlich. Und beide Male fehlt der rechte Zufammen-
hang, iR das Centrum für malerifche KompoRtion verfchoben.
Die Entfaltung aus der Tiefe heraus kündigt Reh fofort bei der neuen Wen-
dung als Hauptfache an. Eine Skizze (bei Mr. Moignon) zeigt den völlig ver-
änderten Vorgang mitten in einer weiten landfchaftlichen Umgebung, in der die
Figuren nicht einmal zu ihrem Rechte kommen.
Diefe Umkehr zu echt malerifcher Conception erfolgte bereits wenige Monate
fpäter. «Die göttliche Gerechtigkeit verfolgt beRändig das Verbrechen ; es kann
ihr nicht entRiehn)), fchreibt Prudhon am 5. messidor deffelben Jahres an den
Präfekten in engem Anfchlufs an Frochots Motto. «Unter dem Schleier der
Nacht, an entlegener wilder Stätte, erdroffelt das gierige Verbrechen ein Opfer,
bemächtigt Reh feines Geldes und fchaut noch zu, ob auch ein ReR von Leben
feine Unthat verrathen könne. Der UnRnrtige ! er Reht nicht, dafs NemeRs, die
fchreckliche Dienerin der Gerechtigkeit, wie ein Geier auf ihre Beute Rtirzt, ihn
verfolgt, ihn ergreifen und der unbeugfamen Göttin ausliefern wird. —"
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