LEBENSWEISE UND TOD
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die es nur dem Namen nach find und mit denen die Leute der grofsen Welt
gezwungen lind, zufrieden zu fein. Das, meine theure Freundin, id meine Meine
Philofophie, und de id dann befonders ihrer Wirkung dcher, wann ich gefund bin.
Damit follen jedoch nicht die Meinen Zerdreuungen vertagt fein, welche man
von Zeit .zu Zeit erlangen kann. Eine kleine Herzensfache, fobald dch die Ge-
legenheit dazu bietet, der Anblick eines fchönen Landes und die Reifen im
Allgemeinen laffen im Geide reizvolle Eindrücke zurück; man kann dch alle diefe
angenehmen Erregungen in das Gedächtnifs zurückrufen, wenn man fern von
ihnen id oder wenn man ähnliche nicht wieder erlangen kann. Es id ein kleiner
Vorrath von Glück für die Zukunft, wie dch diefelbe auch gedalten mag.«
Aufser den fchon erwähnten Reifen nach England, Marokko, Belgien und
Holland hat Delacroix nur kurze Ausdtige nach dem Norden und Süden von
Frankreich, nach Ems und Strafsburg gemacht. Italien hat er nicht zu fehen
bekommen. Er hatte dch ein befcheidenes Landhaus in Champrofay, nicht all-
zu weit von Paris, gekauft und pdegte meid fchon im Frühjahr feinen Wohndtz
dafelbd aufzufchlagen. Obwohl er ein Verehrer der Frauen war, deden ritter-
liche Galanterie in feinen Briefen oft zum Ausdruck kam, hat er dch niemals
verheirathet. Als er jung war, datterte er von Blume zu Blume, und fpäter ging
fein Leben fo in der Arbeit auf, dafs er dch ganz von der Gefellfchaft zurück-
zog. Nur die Ausdcht auf den Genufs guter Mudk vermochte ihn aus feinem
Atelier herauszulocken. Er war ein Freund von Chopin, Meyerbeer, Auber und
hörte ebenfo gern eine gute Oper wie eine erhebende Kirchenmudk. So machte
er die erde Bekanntfchaft mit Goethe's "Faud« in London durch Vermittlung
einer englifchen Oper, in welcher die Haupthandlung des Goethe'fchen Gedichts
beibehalten war. Die erden literarifchen Kapazitäten gehörten zu feinen Freunden,
Thiers, Alfred de Mudet, Alexandre Dumas, Georges Sand, Charles Blanc, Theo-
phil Gautier und die ganze Schaar der Romantiker, welche für ihn kämpften: Thore
(W. Bürger), Silvedre, Burty, Sainte-Beuve, Vacquerie, Baudelaire und Andere.
Delacroix hatte nur einen fchwächlichen Körper und eine zarte Gefundheit,
welche unter dem Wechfel der Witterung, namentlich im Winter und Frühjahr,
fehr zu leiden hatte. Ihm war nur bei hoher Temperatur wohl. Seine Empdnd-
lichkeit gegen die Temperatureindüffe hinderte ihn jedoch nicht, in kalten Sälen
und feuchten Kirchen zu arbeiten, und nichts war ihm unangenehmer, als wenn
er feine Arbeit unterbrechen mufste. Er zog dch bei feinen Wandmalereien ein
Kehlkopfleiden zu, das ihn viele Jahre hindurch quälte. Sein Körper konnte
den ihm zugemutheten Andrengungen nicht lange mehr widerdehen. Im Juni
i86ß zeigten dch die Symptome einer allgemeinen Entkräftung, die nicht mehr
zu befeitigen war. Langfam dechte er dahin. Noch wenige Tage vor feinem
Tode dellte dch ein Mitglied der Akademie bei ihm ein, um dch im Namen
des Indituts nach feinem Bednden zu erkundigen. Man liefs ihn nicht ein; aber
Delacroix erfuhr von feinem Befuche, und felbd auf dem Sterbebette verliefs
ihn nicht der Hafs gegen die Akademie, welche ihm fo lange hartnäckig ihre
Thtiren verfchlolTen hatte. »Mein Gott«, rief er aus, ahaben mich diefe Leute
noch nicht genug gekränkt, beleidigt und mir Leiden verurfacht?«
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die es nur dem Namen nach find und mit denen die Leute der grofsen Welt
gezwungen lind, zufrieden zu fein. Das, meine theure Freundin, id meine Meine
Philofophie, und de id dann befonders ihrer Wirkung dcher, wann ich gefund bin.
Damit follen jedoch nicht die Meinen Zerdreuungen vertagt fein, welche man
von Zeit .zu Zeit erlangen kann. Eine kleine Herzensfache, fobald dch die Ge-
legenheit dazu bietet, der Anblick eines fchönen Landes und die Reifen im
Allgemeinen laffen im Geide reizvolle Eindrücke zurück; man kann dch alle diefe
angenehmen Erregungen in das Gedächtnifs zurückrufen, wenn man fern von
ihnen id oder wenn man ähnliche nicht wieder erlangen kann. Es id ein kleiner
Vorrath von Glück für die Zukunft, wie dch diefelbe auch gedalten mag.«
Aufser den fchon erwähnten Reifen nach England, Marokko, Belgien und
Holland hat Delacroix nur kurze Ausdtige nach dem Norden und Süden von
Frankreich, nach Ems und Strafsburg gemacht. Italien hat er nicht zu fehen
bekommen. Er hatte dch ein befcheidenes Landhaus in Champrofay, nicht all-
zu weit von Paris, gekauft und pdegte meid fchon im Frühjahr feinen Wohndtz
dafelbd aufzufchlagen. Obwohl er ein Verehrer der Frauen war, deden ritter-
liche Galanterie in feinen Briefen oft zum Ausdruck kam, hat er dch niemals
verheirathet. Als er jung war, datterte er von Blume zu Blume, und fpäter ging
fein Leben fo in der Arbeit auf, dafs er dch ganz von der Gefellfchaft zurück-
zog. Nur die Ausdcht auf den Genufs guter Mudk vermochte ihn aus feinem
Atelier herauszulocken. Er war ein Freund von Chopin, Meyerbeer, Auber und
hörte ebenfo gern eine gute Oper wie eine erhebende Kirchenmudk. So machte
er die erde Bekanntfchaft mit Goethe's "Faud« in London durch Vermittlung
einer englifchen Oper, in welcher die Haupthandlung des Goethe'fchen Gedichts
beibehalten war. Die erden literarifchen Kapazitäten gehörten zu feinen Freunden,
Thiers, Alfred de Mudet, Alexandre Dumas, Georges Sand, Charles Blanc, Theo-
phil Gautier und die ganze Schaar der Romantiker, welche für ihn kämpften: Thore
(W. Bürger), Silvedre, Burty, Sainte-Beuve, Vacquerie, Baudelaire und Andere.
Delacroix hatte nur einen fchwächlichen Körper und eine zarte Gefundheit,
welche unter dem Wechfel der Witterung, namentlich im Winter und Frühjahr,
fehr zu leiden hatte. Ihm war nur bei hoher Temperatur wohl. Seine Empdnd-
lichkeit gegen die Temperatureindüffe hinderte ihn jedoch nicht, in kalten Sälen
und feuchten Kirchen zu arbeiten, und nichts war ihm unangenehmer, als wenn
er feine Arbeit unterbrechen mufste. Er zog dch bei feinen Wandmalereien ein
Kehlkopfleiden zu, das ihn viele Jahre hindurch quälte. Sein Körper konnte
den ihm zugemutheten Andrengungen nicht lange mehr widerdehen. Im Juni
i86ß zeigten dch die Symptome einer allgemeinen Entkräftung, die nicht mehr
zu befeitigen war. Langfam dechte er dahin. Noch wenige Tage vor feinem
Tode dellte dch ein Mitglied der Akademie bei ihm ein, um dch im Namen
des Indituts nach feinem Bednden zu erkundigen. Man liefs ihn nicht ein; aber
Delacroix erfuhr von feinem Befuche, und felbd auf dem Sterbebette verliefs
ihn nicht der Hafs gegen die Akademie, welche ihm fo lange hartnäckig ihre
Thtiren verfchlolTen hatte. »Mein Gott«, rief er aus, ahaben mich diefe Leute
noch nicht genug gekränkt, beleidigt und mir Leiden verurfacht?«
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