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Dorotheum <Wien> / Kunstabteilung [Hrsg.]
Versteigerung des Nachlasses Baronin Helene Leitenberger im Palais Wien 1, Parkring 16: 10., 11. März 1933 — Wien, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.7121#0006
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VORWORT

aß, wie ein Ausspruch Goethes besagt, die jetzige Generation
immer entdeckt, was die vorhergegangene vergessen hat, können wir
heutzutage an einem schlagenden Beispiel beobachten. In Romanen und
Biographien, auf der Bühne und im Film taucht immer häufiger und
immer freundlicher behandelt das Bild der francisco-josephinischen Zeit
und innerhalb dieser das Bild jener Epoche auf, die als Periode des
„wirtschaftlichen Aufschwunges", oder wie man sie bei uns nannte, der
„Gründerzeit", bis vor kurzem eine besonders üble Nachrede gefunden
hat, die aber, wenn auch nicht in allem und jedem, so doch in vielem
jetzt schon langsam anfängt, als „gute alte Zeit" zu gelten. Man kommt
nämlich nach und nach darauf, daß es damals nicht nur einen wirtschaft-
lichen, sondern auch einen kulturellen, einen geistigen Aufschwung
gegeben hat. Die Wiener Universität, vor allem die medizinische, aber
auch die juridische und philosophische Fakultät, das Burgtheater unter
Dingelstedt und Wilbrandt, die Oper unter Richter und Jahn hatten
Glanzzeiten ihrer Entwicklung zu verzeichnen, wie sie in solcher Ein-
heitlichkeit, Intensität und Dauer später nicht wieder gekommen sind.
Auf dem Gebiet der bildenden Künste braucht man nur die Namen der
Baukünstler van der Nüll, Ferstel, Hansen, Schmidt, Hasenauer, der
Maler Makart, Canon, Pettenkofen, Alt, Schindler, der Bildhauer
Tilgner, Zumbusch, Weyr zu nennen; auf dem der Musik Brahms und
Johann Strauß, Bruckner und Wolf. Ein großer Teil des geistigen Wien
fand sich damals in den gastlichen Salons des wohlhabenden Bürgertums,
der Haute Finance und der Großindustrie zusammen. Unter den
letzteren war einer derjenigen, in welchem vornehme Geselligkeit,
Mäzenatentum und mondäne Repräsentation im größten Stile gepflegt
wurde, der des bedeutenden Textilfabrikanten Freiherrn Friedrich von
Leitenberger. Das prächtige, in den Sechzigerjahren für ihn erbaute
Ringstraßenpalais gegenüber dem Stadtpark war ein Sammelplatz der
geistigen Elite wie auch der vornehmen Kreise. Auch der Kronprinz
verkehrte dort und wie sehr er den Hausherrn schätzte, geht daraus
hervor, daß er ihm einmal sein Porträt von der Hand Canons zum
Geschenke machte. Zu den ständigen Gästen gehörten unter anderem
Anton v. Schmerling, Fürst Karl Auersperg, Vater und Sohn Plener,
Baron Chlumecky und Minister Hasner, der Schöpfer unseres Volks-
schulgesetzes, ferner die meisten Koryphäen des Burgtheaters. Von der
großzügigen Gastfreundschaft, die hier geübt wurde, gibt es einen
Begriff, wenn wir erwähnen, daß Baron Leitenberger mehrmals große
Vergnügungsfahrten zur See arrangierte, einmal eine solche nach Kon-
stantinopel, ein andermal eine Nordlandsreise, zu denen zahlreiche Haus-
freunde eingeladen wurden, darunter Lewinsky, die Familie Hartmann,
Gabillon, Thimig usw. Auch Sonnenthal verkehrte im Hause. Als er
sein 2 5 jähriges Burgtheaterjubiläum feierte, ließ Baron Leitenberger
eine goldene Medaille prägen, die ihm anonym — „von Verehrern" —
überreicht wurde, ein Zug, der den Spender charakterisiert! Besonderer
 
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