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Dresdner, Albert; Gaede, Richard
Neues Leben im altsprachlichen Unterricht: 3 Preisarbeiten — Berlin, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.43344#0037
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Der Erlebniswert des Altertums und das Gymnasium. 29
wart getrübt wird, so können wir an ihm den Gesamt-
ablauf von seinen Anfängen bis zu den Ausgängen restlos
ablesen; es ist bisher das einzige völlig zu Ende erlebte
große Erlebnis der abendländischen Kultur; eben daß sie
— wie ihre Gegner ihr immer vorwerfen — „tot“ ist, gibt
der Antike den unvergleichlichen Erlebnis wert. Zugleich
nimmt sie eine Zentralstellung von durchaus einziger Art
ein, indem sie nach rückwärts — zum Oriente hin — wie
nach vorwärts bis auf den heutigen Tag mit den Geschicken
und Erfahrungen der Menschheit durch tausend wirksame
Beziehungen auf das innigste verflochten ist. Endlich aber
hat keine andere Kultur die typischen Elemente auf allen
Gebieten, im individuellen wie im Volks- und Staatsleben,
in Literatur und Kunst so rein und kraftvoll herausgebildet,
und gerade sie sind es, die uns zum Verständnisse der Er-
scheinungen des menschlichen Lebens vor allem als Schlüssel
dienen. So schreiben die Eigentümlichkeiten und Vorzüge
des Altertums selbst der Schule die Aufgabe vor, die sie
an ihm zu leisten hat. Sie muß überall den Beziehungen
nachgehen und sie nach bestem Vermögen aufdecken, durch
die die Antike wirkend in die Entwicklung der Kultur ein-
gegriffen hat, und auf diese Weise die ihr innewohnende
geistige Kraft dem Schüler als ein im höchsten Sinne und
höchsten Grade Lebendiges zur Anschauung bringen. Und
sie muß sich bemühen, an den Persönlichkeiten, Einrich-
tungen und Leistungen der Antike das Typische heraus-
zuholen und es dem Schüler für das Verständnis der Formen
und Erscheinungen des Lebens fruchtbar zu machen.
Bas Erlebnis läßt sich nicht erzwingen. Es bereitet
sich, aus tausend Keimen Nahrung saugend, still in den
dunkeln Untergründen des Bewußtseins vor, um dann, wenn
die Kette geschlossen ist, anscheinend plötzlich, blitzartig,
mit voller Kraft und höchst beglückend ins Bewußtsein
überzuspringen. „Von dem logischen Mechanismus des
Verstehens“ — sagt Droysen in seiner „Historik“3, S. 10 —
„unterscheidet sich der Akt des Verständnisses. Dieser
 
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