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Twachtmann-Schlichter, Anke [Editor]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 14,1): Stadt Hildesheim: mit den Stadtteilen Achtum, Bavenstedt, Drispenstedt, Einum, Himmelsthür, Itzum, Marienburg, Marienrode, Neuhof, Ochtersum, Sorsum, Steuerwald und Uppen — Hameln, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.44417#0193
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Umgestaltung zur Promenade und die damit
einhergehende Bepflanzung als Allee, die be-
reits 1812 fertiggestellt war. Im Zuge dessen
entstand die Brücke aus Natursteinen am
Kalenberger Graben zwischen Kehrwieder- und
Langelinienwall im Jahre 1790, wie eine In-
schriftentafel mit dem Stadtwappen verdeut-
licht. Auch das um 1800 errichtete ehemalige
Wachhäuschen für die Torwärter am Lange-
linienwall, heute Lucienvörder Straße 23, ist
dieser Zeitspanne zuzurechnen. Typisch in sei-
ner Gestaltung und für die damalige Nutzung ist
das Gebäude relativ klein und schmucklos ge-
halten. Heute dient das Fachwerkhaus aus-
schließlich Wohnzwecken.
Die Bebauung der Venedig kann in ihren
Grundzügen als exemplarisch für die gesamte
Stadterweiterung in Hildesheim auch im Hin-
blick auf die Fassadengestaltung der einzelnen
Gebäude von 1890 bis zum Beginn des Ersten
Weltkrieges angesehen werden.
Ausdruck der sozialen Entwicklung aufgrund
der Industrialisierung und der entstehenden
Fabriken sind die damit einhergehenden Arbei-
terwohnviertel, die sich im Norden der Stadt
bildeten. Im Gegensatz dazu entstanden im
Zuge der südlichen Stadterweiterung, bei-
spielsweise am Weinberg, die repräsentativen
Villen mit großzügig geschnittenen Grund-
stücken. Ähnliches gilt auch für das Gebiet der
Großen Venedig. Offensichtlich bestand seitens
der Stadt die Absicht, hier ein repräsentatives
Wohngebiet für eine wohlhabendere Bürger-
schicht zu schaffen. Die anfangs angestrebte
und auch zum großen Teil eingehaltene Block-
randbebauung wird in der Lucienvörder Straße
und am Mühlengraben verwirklicht. Nach 1900
werden am Kalenberger Graben und in der
Humboldtstraße allerdings immer mehr Gebäu-
de in einer offenen Bauweise errichtet, wenn
auch mit äußerst geringen Abstand. Die meis-
ten dieser Gebäude wurden als Mietshäuser
geplant, gebaut und von mehreren Mietparteien
belegt. Die bescheidenere Aufteilung im Inneren
wird durch aufwändige und repräsentative
Fassaden kaschiert, die äußerlich durchaus
Villencharakter assoziieren. Die Einrichtung
einer entsprechenden Infrastruktur mit Versor-
gungsleitungen für Gas und Trinkwasser kann
parallel angenommen werden. Die städte-
bauliche Konzeption und ihr exemplarischer
Charakter weisen das Gebiet trotz Einbußen an
originaler Bausubstanz als ein stadtbauge-
schichtliches Dokument von seltener Einheit-
lichkeit aus.
Eine Konzentration der Bebauung erfolgte ent-
lang der Lucienvörder Straße und am Kalen-
berger Graben bis zur heutigen Gaußstraße
und markiert den Wendepunkt zur planmäßigen
Bebauung. Dieser Bereich wurde offenbar auf-
grund topografischer Aspekte bevorzugt, zum
einen war sicherlich die Stadtnähe bzw. die
schnellere Anbindung zur Stadt ausschlag-
gebend, zum anderen die Lage am Kalenberger
Graben.
Die Massivbauten Lucienvörder Straße 2,3, 18
und 19-22 wurden zwischen 1895-1899 in
Backstein als Mietshäuser errichtet. Planer,

Hildesheim, Lucienvörder Straße 10


Hildesheim, Humboldtstraße 10


Bauherr und Unternehmer war überwiegend
der Maurermeister Heinrich Mestmacher. Wenn
auch zum Teil unterschiedlich in ihren dekorati-
ven und schmückenden Fassadenelementen,
entsprechen sie doch noch weitgehend dem
Stil der „Hannoverschen Schule“ und gehören
einer gemeinsamen Entwicklungsstufe an.
Zwerchhäuser mit dekorativen Sprengwerk-
konstruktionen, zum Teil Fenstergewände aus
profiliertem Zementstuck, Fensterachsen und
Balkone rhythmisieren die Fassaden. Zudem
gliedern typische zweifarbige Ziegelzierset-
zungen die Straßenansichten Lucienvörder
Straße 19-22.
Nach Protesten traditionsbewusster Hildeshei-
mer Bürger entstand im Jahr 1900 ein Fassa-
denwettbewerb. Dieser hatte das Ziel, den
überregional verwendeten und nicht an Hildes-
heim gebundenen historistischen Stil der
„Hannoverschen Schule“ zu verdrängen und

eine bewusste Hinwendung zu ortsüblichen
Gestaltungselementen zu finden. Aufgrund
dieser Maßgabe entstand eine Mappe mit
beispielhaften Musterfassaden, die vor allem
kleineren Betrieben an die Hand gegeben wer-
den sollte. Ziel war es, den Fachwerkcharakter
der Stadt wieder aufzunehmen. Daraus ergab
sich ein Musterkatalog mit altdeutsch anmuten-
den Formen oder, wie es im Ausschreibungs-
text formuliert wurde, „welche sich an die bis
gegen Mitte des 17. Jahrhunderts in Deutsch-
land zur Verbreitung gelangten Bauformen“ ori-
entierten. Für die Jahre zwischen 1902 und
1905 ist die Verwendung von Fachwerk gemäß
den Formulierungen des Fassadenwettbewer-
bes bei den Obergeschossen der meist zwei-
bis dreistöckigen Gebäuden signifikant. Der
dekorative Schmuck der Fassaden kopiert bzw.
modifiziert sowohl in den Ober- und massiven
Untergeschossen laut Wettbewerb Formengut
der Gotik, der Renaissance und des Barock.

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