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Kämmerer, Christian [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 32): Stadt Osnabrück — Braunschweig, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.44440#0090
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ehe zwischen Johannisstift und Neuer Mühle
durch ihre unregelmäßige Straßenführung
deutlich heraus. Gegen 1300 erhielt auch die
Neustadt ihre Befestigung durch Mauer und
Graben, die an die Befestigungsanlagen der
Altstadt angeschlossen wurde. Der Mauerring
umfaßte ein in damaliger Zeit noch zu einem
erheblichen Teil unbebautes Gebiet, das in
seinem westlichen Bereich Partien der sump-
figen Wüste mit einschloß. Die Befestigung
besaß mehrere Tore, von denen jedoch allein
das Johannistor im Süden Bedeutung besaß,
während die übrigen zum Teil nur landwirt-
schaftlichen Zwecken dienten, unter ihnen die
Martinspforte, die im äußersten Nordwesten
der Neustadt Zugang zur Wüste vermittelte.
Auch nach ihrem Zusammenschluß mit der
Altstadt 1306 behielt der Stadtteil eine be-
grenzte Selbstverwaltung mit eigenem Rat,
Gericht und eigener Vermögensverwaltung
bei, was gegen Mitte des 14. Jh. zum Bau ei-
nes Rathauses der Neustadt bei der Johan-
niskirche führte.
Bedeutende Veränderungen ihres mittelalter-
lichen Grundrisses erfuhr die Neustadt erst-
mals zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, als
Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg an ih-

rem Südostrand die Zitadelle Petersburg er-
bauen ließ, deren Konturen sich im heutigen
Stadtgrundriß nicht mehr abzeichnen. Einen
schwerwiegenden Eingriff in das mittelalterli-
che Straßensystem stellte die Anlage des
fürstbischöflichen Residenzschlosses am
Nordwestrand der Neustadt in der zweiten
Hälfte des 17. Jh. dar. Mit seinem Park bean-
spruchte es zudem einen Teil der Wüste im
Westen der Neustadt. Weitere Veränderun-
gen ergaben sich erst seit der Mitte des 19. Jh.
mit der Anlage des Neumarkts am Nordost-
rand des Stadtteils. Auf die Beseitigung der
Befestigungsanlagen folgte im Osten die Er-
schließung der Randzonen durch die Anlage
von Kollegienwall und Pottgraben, während
im Westen der Schloßwall entstand. Auf den
Feuchtgebieten der Wüste am Westrand wur-
den Wiesen- und Blumenstraße angelegt. Tei-
le dieses Geländes erschloß man jedoch erst
in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.
Mit einem Zerstörungsgrad von 93% gehört
die Neustadt zu den im Zweiten Weltkrieg am
schwersten getroffenen Stadtbezirken Osna-
brücks, deren historisch gewachsenes archi-
tektonisches Gesicht fast vollständig zugrun-
de ging. Im wesentlichen überkam dertiistori-

tx

Johanniskirche von Nordwesten


sehe Stadtgrundriß, darüber hinaus blieben
nur wenige, meist vereinzelte und mehr oder
weniger kriegsbeschädigte Gebäude erhal-
ten, die heute das Gerüst bieten müssen, an
dem die geschichtliche Entwicklung des
Stadtteils ablesbar wird.
Die Neustadt, deren Grundfläche mit 52 ha
etwa der der Altstadt (50 ha) entspricht, bot in
ihrem Grundriß noch bis zur Jahrhundertwen-
de ein von dem der Altstadt sehr abweichen-
des Bild. Bis zum Ende des 19. Jh. kennzeich-
nete sie in großen Teilen eine überwiegend
lockere Bebauung. Diese war in ihrem von
vornherein weiträumig angelegten Straßen-
netz begründet, zum anderen aber auch darin,
daß die Mauerbefestigung im Westen den
ausgedehnten Bereich der Wüste mit ein-
schloß, der zur Bebauung ungeeignet war.
Hinzu kam, daß nicht unbeträchtliche Flächen
der Neustadt Grundbesitz des Adels waren,
deren Höfe mit ihrem großen Raumbedarf ei-
ne relativ weiträumige Bebauung des mittelal-
terlichen Straßennetzes zur Folge hatten. Die
Anwesen des Adels konzentrierten sich im
Nordwesten der Neustadt vor allem im nähe-
ren Bereich des Schlosses, unter anderem am
Neuen Graben, an Seminarstraße und Hans-
Böckler-Straße (ehemals Clubstraße). Auf der
anderen Seite wies im Osten der Neustadt die
zum Stift St. Johann gehörende Immunität,
auf der sich, ähnlich wie auf der Domimmuni-
tät, die Kuriengebäude der Stiftsgeistlichen
befanden, eine vergleichbar aufgelockerte,
zum Teil weit auseinandergezogene Bebau-
ung auf. Noch bis zur Jahrhundertwende be-
stand die alte Struktur des Stadtteils in dieser
Form im wesentlichen fort. Erst im 20. Jh. be-
gann sie sich rasch aufzulösen, um schließlich
durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrie-
ges und die nachfolgende Stadtentwicklung
fast unkenntlich zu werden.
Kath. Johanniskirche
Im Jahre 1011 wurde im Herzen der späteren
Neustadt das Kollegiatstift St. Johann durch
Bischof Detmar (1003-1023) gegründet und
eine erste Johanniskirche errichtet, von wel-
cher sich Reste durch Grabung ermitteln lie-
ßen. Die Grundsteinlegung des heutigen Kir-
chenbaus erfolgte 1256, seine Weihe 1292.
Aus der Stiftskirche, die 1447 auch Pfarrechte
erhielt, wurde nach der Säkularisation 1803
und der anschließenden Auflösung des Kapi-
tels die Pfarrkirche St. Johann.
Die Bauarbeiten begannen, wohl mit Rück-
sicht auf die noch bestehende ältere Kirche
des 11. Jh., im Osten und Westen. Es ent-
stand über kreuzförmigem Grundriß eine drei-
schiffige Hallenkirche mit Querhaus, quadrati-
schem Chor und - wohl unter Einfluß nieder-
sächsischer Vorbilder - einem Westriegel,
dessen Doppeltürmigkeit auf die Errichtung
des Bauwerks als Stiftskirche weist. Das Inne-
re ist dank eines einheitlichen Plans von gro-
ßer Geschlossenheit. Den gesamten Kirchen-
raum durchdringt eine sparsam-konsequente
Gliederung in den Formen der auf der Schwel-
le des Übergangs stehenden Frühgotik.
Schlanke quadratische Pfeiler, denen dünne
Dienste in den Ecken eingestellt sind, und ent-
sprechend ausgebildete Wandvorlagen neh-
men die Kreuzrippengewölbe der Halle auf,

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