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Durm, Josef
Handbuch der Architektur (Theil 2, Die Baustile ; Bd. 2): Die Baukunst der Etrusker, die Baukunst der Römer — Darmstadt, 1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.2021#0046
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39

und Silber verfehen, dafs es die Habgier des Dionyfios von Syrakus reizte, 'der auch
384 v. Chr. feine Finanzen mit deffen Schätzen aufbefferte. Aber auch von diefem
berühmten Tempel find keine Spuren mehr vorhanden, obgleich angenommen werden
könnte, dafs er, wie die Stadt und die Hafenmauern, aus Kalkfteinen erbaut war.
Canina glaubt denfelben im alterten dorifchen Stil ausgeführt annehmen zu muffen.
Dennis will ihn wie den Pofeidon-Tempel in Paeftum geftaltet wiffen, ein Tempel, der
fich mit feinen fchweren Säulen und maffigem Gebälke hoch über die Thürme und
Zinnen der Stadtmauern erhob — ein Seezeichen für die Schifffahrer, eine Mahnung
zur Andacht.

Diefer Tempel kann, wie die Stadt, griechifchen Urfprunges gewefen fein, und
fo hätte in ihm das etruskifche Mutterland fchon frühe ein Monument griechifcher
Tempel-Architektur, ein Vorbild für verwandte Schöpfungen in formaler Beziehung
gehabt.

Wahrfcheinlich ift diefe Vorausfetzung nicht, und die Annahme einer Tempel-
form, die fowohl im Grund- als Aufrifs älter ift, als die vollendete griechifch-dorifche,
ift wohl die richtigere.

Das Vitruvianifche Recept für den tuskifchen Tempel gilt nur für proftyle,
tetraftyle Anlagen bei ungleichen Axenweiten; es beftimmt den Grundrifs, die
Säulenftellung, Form und Höhe derfelben, die Ausladung der Balkenköpfe und die
Dachneigung. Nicht einmal die Höhe des Architravs ift angegeben; über Geftalt
und Form des Unterbaues, des Hauptgefimfes, der Einzelheiten des Giebels etc.
enthält es nichts.

Was aus diefen Angaben mit Sicherheit zu machen ift, findet fich mit den
Vitruvianifchen Verhältnifsmafsen auf umftehender Zeichnung (Fig. 31) dargeftellt
— gewifs ein dürftiges architektonifches Bild. Der bezügliche Text hat die ver-
fchiedenften Ueberfetzungen und Auslegungen erfahren. Die beiden fragwürdigften,
von Semperzs) und Reberzv), mögen hier mit dem Originale auf ihre Zuftändigkeit
und auf ihre Uebereinftimmung unter fich geprüft werden.

In welcher Weife die Theillinien im Grundplane in Bezug auf die Mauerftärken und Säulendicken
gezogen werden follen, ift bei Vitruv nicht erfichtlich. Der Techniker Semper faffte fie als Axen durch
die Säulenmitten auf und dürfte damit das Richtige getroffen haben. Ueber die Stellung der Säulen
decken fich die Anflehten der beiden Ueberfetzer, eben fo über die Geftalt und Form der Säulen, Bafen
und Kapitelle, und es fchliefsen fich diefe an den kaum mifszuverftehenden Wortlaut des Vitriw'ichen
Textes an. Man wird diefen Auslegungen ohne Weiteres folgen können; es entfpricht denfelben unfere
Zeichnung, welche unabhängig von jenen entftanden ift. Ungenau bleibt nur wieder, in welcher Weife die
»latilndo templi« (AB der Zeichnung) zu nehmen ift, ob als »Breite« von Axe zu Axe der Eckfäulen oder
als »Breite« gemeffen von Aufsenfeite zu Aufsenfeite der Eckfäulen. Da bei der Grundrifszeichnung Axen-
mafse angenommen wurden, fo werden diefe auch wohl hier beizubehalten fein.

Bei dem nun folgenden Satze über die Architrave gehen die Auffaflungen aus einander; Reber will
die Balken »über einander« geklammert haben, während fie Semper »neben einander« legt, fo dafs bei
letzterem der verlangte Zwifchenraum zwifchen den beiden Balken fo gelaffen ift, wie bei den Stein-
Architraven der griechifchen Bauwerke, was auch das einzig Naturgemäfse fein dürfte.

Noch mehr aber entfernen fich die Anflehten in der Beftimmung von: »Supra trabes et fupra
parietes trajeeturae mutulorum parte quarta altitudinis columnae proficiantur, item in eorum frontibus ante-
pagmenta figantur«. Semper glaubt »projicei-e« mit »lagern« überfetzen zu muffen und bezieht die altitudo
auf die Höhe der Decken- oder Dachbalken, während proßcere an anderen Stellen bei Vitruv und auch
in der Lex Puteolcna 35) ein »Vorkragen« in horizontaler Richtung bezeichnet.

Es dürfte fomit der Vorfprung der Deckenbalken über die Architrave, bezw. die Mauerflucht ge-

3S) Kleine Schriften. Stuttgart 18S4. S. 173—190.

3*) Des Vitruvius zehn Bücher über Architektur. Ueberfetzt etc. Stuttgart 1865. S. 120—122.

35) ȣlr eo pariete antas duas ad 7>mrc vor/um proieito.*
 
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