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Durm, Josef
Handbuch der Architektur (Theil 2, Die Baustile ; Bd. 2): Die Baukunst der Etrusker, die Baukunst der Römer — Darmstadt, 1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.2021#0116
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manch moderner Aefthetiker fo viel Gewicht legt und defshalb das »Antikbauen«
dieffeits der Alpen verbieten möchte oder fogar Beziehungen herftellt, an die ein
Römer ficher nicht gedacht hat oder gar nicht denken konnte, weil ihm die Vor-
bedingungen dafür fehlten.

Was uns heute die italienifche Landfchaft »charakteriftifch« macht, war früher
noch gar nicht da. Opuntien - Cactus und Agave find ein Gefchenk Amerikas,
eben fo die jetzt in Mittel- und Oberitalien gepflanzte Platane (Platanus occidentalis).
Die im Alterthume beliebte, in Griechenland und im Orient heimifche Platanus
orientalis gedeiht in nördlich gelegenen Strichen nicht und leidet unter der Winter-
kälte. Der Oleander kömmt erft in der letzten Zeit der römifchen Republik nach
Griechenland und nach Italien entfprechend fpäter; Orangen kamen erft nach der
Zeit Alexander 's aus Innerafien nach Europa etc.6 7).

Die Bauformen blieben diefelben; das Material, aus welchem fie ausgeführt
worden find, mochte fein, welches es wollte; nicht auf die Kunftform hatte diefes
Einflufs, fondern nur auf die Art der technifchen Herftellung. Das korinthifche
Kapitell bleibt daffelbe, ob es in Terracotta, Marmor, Sandftein oder Metall aus-
geführt wurde; nur in den Ausladungen und in der Behandlung des Details ift der
Eigentümlichkeit des Materials jeweilig Rechnung getragen. Das Material zwingt
zu keinem Stil, wohl aber zur befonderen Conftructionsweife; wir können mit Back-
fteinen eben fo gut gothifch, als antik bauen. Der Mangel einzelner Baumaterialien
oder das reiche Vorhandenfein aller möglichen an einem Orte wirkte beftimmend
auf die Entwickelung derfelben (der Conftructionsweife).

So ift der eigenthümliche Zug der Architektur des Haurän dem Umftande
zuzufchreibe», dafs Stein, ein fchwer zu bearbeitender harter (Dolerit?) Bafalt, das
einzige Baumaterial war. In Folge deffen wurde der Bogen das Haupt-Conftructions-
Element. Durch geiftreiche Combinationen deffelben mit geraden Steinbalken, die
bis zu 5m Länge zu gewinnen waren, wufften die Bewohner des Haurän ihre
Tempel, öffentlichen und Privatbauten vollftändig aus diefem Materiale herzuftellen.
Mauern, Decken, Treppen, Thüren und Fenfter nebft deren Verfchlüffen, Wand-
karten, Möbel, Leuchter etc. wurden daraus gemacht; das Dach bildeten mit Eftrich
überdeckte Steinbalken — kurzum Steinbau in der äufserften Confequenz.

Reichthum und Ueberflufs an Mitteln auf der einen, gepaart mit dem Streben
nach abfoluter Monumentalität, beginnende Holzarmuth, d. h. Mangel an grofsem
Bauholze, auf der anderen Seite führten wohl zu den Metalldachftühlen, von denen
ein Beifpiel im Dach der Vorhalle des Pantheon noch vor wenigen Jahrhunderten
erhalten war, und zu den aus Bohlen conftruirten Kaftenbalken Pompejis.

Gegen das Klima fuchte man fich bei vielen Bauten durch die Art der tech-
nifchen Ausführung zu fchützen. Das gleiche, flache, forgfam gefügte Ziegeldach
wurde fowohl im Süden von Italien, wie auf den rauhen Schwarzwaldhöhen oder
in den Thälern der Mofel beibehalten, und nur im Norden wurden den Schnee-
belaftungen ftärkere Sparren, kürzere und dickere Ziegel (46cm im Zehntland lang,
in der Heimath bis zu 85 cm und mehr) entgegengefetzt. Und bis auf den heutigen
Tag hat das angeblich aus klimatifchen Verhältniffen hervorgegangene nordifche
fteile Dach, das auch der Süden in frühefter Zeit fchon kannte, das flache antike
Schindeldach in den fchneereichen Hochgebirgen «der Schweiz, der Steyermark
und Tyrols oder das flache Thonziegeldach der Häufer an den füdlichen Abhängen

8!) Vergl. Hehn, V. Culturpflanzen und Hausthiere etc. Berlin 1874.


 
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