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Dussler, Luitpold; Michelangelo [Ill.]
Die Zeichnungen des Michelangelo: kritischer Katalog — Berlin, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.42438#0042
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der Midielangelo-Zeichnungen aus Sebastiano del Pi-
ombos Nachlaß (Vasari, ed. M. VII p. 271 f.) anzu-
nehmen ist. Die vom Meister Vittoria Colonna ver-
ehrten Blätter, der Cruzifixus (Kat.n. 329), die Pieta
(Kat.n. 378) und Christus mit der Samariterin am
Brunnen sind uns nur noch über Kopien bzw. Stiche
bekannt; die erstere Darstellung wurde schon unter
Michelangelos Aufsicht auf Vittorias Wunsch wieder-
holt5, ob das letztere Thema, das in der Sammlung
Fulvio Orsinis als »acquarella« erscheint, das Origi-
nal gewesen, bleibt fraglich, da auch für dieses Blatt
eher ein Vortrag in Schwarzkreide anzunehmen ist6. —
Die Blätter in Vasaris Besitz können nach seinen eige-
nen Angaben nur wenige gewesen sein: eine vom
jungen Michelangelo korrigierte Zeichnung einer
weiblichen Gewandfigur von einem Ghirlandaio-
Schüler (Vasari, ed. M. VII p. 139 f.) und die Dar-
stellung des Gerüstes, mittels dessen der Marmor-
david an seinen Aufstellungsort transportiert wurde
(Vasari, ed. M. VII p. 155), wahrscheinlich auch ver-
schiedene Architektur-Entwürfe des Ateliers, von de-
nen einige sich noch in Dresden (Kat.n. 389-391)
erhalten haben7. Konkret unterrichtet sind wir über
Don Giulio Clovios Eigentum, in dessen Inventar
(1577) nicht nur genau alle Kopien auf geführt sind,
die der Künstler in Michelangelos Atelier anzuferti-
gen die Erlaubnis hatte, sondern ebenso auch acht
Originale genannt werden.
Aus dem Nachlaßinventar des Daniele da Volterra
erfahren wir nur von einer »pietä di cartone di mano
di Michelagnolo«8, doch ergänzt diese karge Angabe
G. Baglione (Le Vite 1642 p. 66) in der Vita des Da-
niele Schülers Giacomo Rocca mit der Notiz: »lasciö
Danielle bellissimi disegni non solo de’ suoi, ma anche
di quelli di Michelagnolo Buonarroti, li quali egli a
tutti per maraviglia mostrava«9.
Allein der gelehrte Bibliothekar und Kanonikus der
Lateranskirche Fulvio Orsini (1529-1600) in Rom
scheint der glückliche Besitzer einer großen Anzahl
von M.s Zeichnungen gewesen zu sein, denn sein
Nachlaß führt 28 Blätter des Meisters auf10, nicht ein-
gerechnet die bedeutenden Skizzen im Codex der
»Poesie«, die als Stiftung der Vatikanischen Biblio-
thek einverleibt wurden (Kat.n. 217-232). Orsini
hatte seit 1558 im Dienste der Farnese gestanden, zu-
erst bei dem Kardinal Ranuccio und nach dessen Tod
bei seinem berühmten Bruder, Kardinal Alessandro
Farnese (f 1589), in dessen glänzende Sammlung
auch, wie schon erwähnt, T. Cavalieris Michelangelo-
Zeichnungen übergegangen waren. In Erinnerung an
jene seine Förderer vermachte Orsini einen großen
Teil seiner Kunstschätze Alessandros Neffen, Kardi-
nal Odoardo Farnese, so daß man wohl annehmen
darf, daß mit diesem Legat und dem Erbgut des
Onkels das Haus Farnese damals die wertvollste

Sammlung von Blättern des Meisters in sich vereinigt
hatte. Zu welchem Zeitpunkt dieser Bestand aufge-
löst und wohin er zerstreut wurde, ist unbekannt; das
wenige, was die späteren Inventare aufführen, be-
trifft nur die großen Kartons, die noch heute in der
Neapler Galerie sich befinden; vom Gros der Hand-
zeichnungen lassen sich einige in Windsor nachweisen,
und da diese Sammlung im wesentlichen nicht vor
1735 errichtet wurde, ist es möglich, daß der Farnese-
Besitz erst damals zur Veräußerung gekommen ist.
- Haben wir bis rund 1600 in weitgehendem Grad
festen Boden unter den Füßen, so kann man den
italienischen Zeichnungssammlungen des 17. und
18. Jahrhunderts nicht mehr das gleiche Vertrauen
zuerkennen; schon die gegenüber dem Cinquecento
erhebliche Quantitätszunahme von Michelangelo-
Blättern stimmt skeptisch und erweckt den Verdacht,
daß hier eine gute Anzahl von Kopien und Nach-
ahmungen eingeschlossen war, andrerseits der große
Meistername als Sammelbegriff für toskanisch-rö-
mische Zeichnungen des Jahrhunderts verstanden
wurde* 11. Diese Voraussetzungen werden wohl ebenso
5 Vgl. Frey, Dichtungen p. 533!., Reg. 109.
6 Audi Mariette führt in seiner Description der Crozat-Samm-
lung eine Zeichnung dieses Themas auf.
7 Vasari war von Michelangelo der Karton mit »Christi Ab-
schied von seiner Mutter« zugedacht, wie wir aus dem Brief
Danieles da Volterra vom 17. März 1564 (Frey, Carteggio II
p. 53) erfahren, doch hatte ihn der Aretiner aus unbekannten
Gründen nicht angenommen.
8 Mez, Bollettino d’Arte 1934 p. 53 f.
9 Wahrscheinlich sind das Blatt in Haarlem (Kat.n. 297) und der
Reiterdenkmal-Entwurf in Amsterdam (Kat.n. 244) unter diese
zu rechnen.
10 P. de Nolhac, Les collections de Fulvio Orsini (GBA 1884,
2e per. Bd. XXIX p. 427 ff).
11 Im folgenden geben wir ohne Anspruch auf Vollständigkeit
eine knappe Übersicht über einige urkundlich erwähnte Samm-
lungen Italiens seit Ende des 16. Jahrhunderts: Giov. A. Dosi
erwähnt unter anderen Blättern auch eine Zeichnung Michel-
angelos in seinem Brief vom 22. Juli 1575 an Niccolö Gaddi in
Rom (Bottari-Ticozzi, Raccolta III p. 305); wahrsdieinlidi geht
es um dasselbe Blatt in dem Schreiben vom 1. August 1578 und
15. August 1579 an den gleichen Adressaten (ebenda p. 309 f.).
Von einem »libro di disegni« im Besitz des Cesare Crispolti in
Perugia, in dem unter anderen Meisternamen auch der Michel-
angelos genannt wird, hören wir Anfang des 17. Jahrhunderts:
Kardinal Bevilacqua bietet es dem Herzog Vincenzo Gonzaga in
Mantua an (Luzio, La Galleria dei Gonzaga ..., Mailand 1913
p. 41 f.); voraus ging (1595) seitens Fabio Orsino aus Rom das
Angebot von »una pezza di Michelangelo« an denselben Fürsten
(Luzio p. 107). - Im Inventar des Bischofs Carlo Coccapani
(f 1625) in Reggio wird »un Cristo in Croce di lapis nero« er-
wähnt (Campori, Raccolta p. 153 n. XV a). Dem Duca
Alfonso IV. in Modena bietet Padre Pittorino am 2. Febr. 1658
aus Mantua »il famoso Cristo di M... B... quäle... e stimato
uno de’ piu belli disegni die ogidi si trovano ...« an und am
12. Dez. ds. J. schreibt derselbe dem Herzog von einem »disegno
superbissimo« des Meisters im Besitz des Grafen Novellara (A.
Venturi, LaR. Galleria Estense in Modena. Modena 1882 p. 272,
273). - Geringes Vertrauen erweckt auch der Besitz am Esten-
sischen Hof, wo unter den Buchschätzen des Francesco III.
Duca XII von Modena (1737-1780) ein Großfolio-Band mit
»disegni storiati 61 di Michelangiolo« (Inv. n. CXXXIII) auf-
geführt wird. (A. Venturi, La R. Galleria Estense p. 362). -

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